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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:30.07.1986
Aktenzeichen:KVVG II 10/86
Rechtsgrundlage:§ 1 KVG; § 42 KGO; §§ 35a,39,40 PfG; §§ 20,29 KVVG; § 80 VwGO
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aussetzung der sofortigen Vollziehung, Gedeihliche Amtsführung, Ungedeihlichkeit, Versetzung, Wartestand
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Leitsatz:

Tenor:

Die in dem Bescheid der Kirchenverwaltung vom 4. Juli 1986 ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung der von der Kirchenleitung am 30. Juni 1986 beschlossenen Versetzung des Antragstellers in den Wartestand wird aufgehoben.
Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten trägt die Antragsgegnerin.
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Gründe I:

I.
Der Antragsteller ist Inhaber der Pfarrstelle II der C.........-Gemeinde in A.
Die Antragsgegnerin beschloss in ihrer Sitzung am 30. Juni 1986, ihn mit Wirkung vom 1. August 1986 in den Wartestand zu versetzen. Dieser Beschluss der Antragsgegnerin wurde dem Antragsteller von der Kirchenverwaltung mit Schreiben vom 4. Juli 1986 mitgeteilt.
Zur Begründung für die angeordnete Versetzung des Antragstellers in den Wartestand wird in dem Schreiben der Kirchenverwaltung angeführt:
Das durch Beschluss der Kirchenleitung vom 12. Mai 1986 eingeleitete Versetzungsverfahren habe ergeben, dass eine gedeihliche Führung des Amts des Antragstellers als Inhaber der Pfarrstelle II der C.........-Gemeinde und zunächst auch eine gedeihliche Wirksamkeit in einem anderen pfarramtlichen Dienst nicht mehr zu erwarten sei (§§ 35a Abs. 1c und 39 PfG).
Seit 1984 bestünden zwischen dem Antragsteller und dem Kirchenvorstand sowie dem Kollegen des Antragstellers Pfarrer B. zunehmende Spannungen, die die Arbeitsfähigkeit des Kirchenvorstands und den geordneten pfarramtlichen Dienst in der Gemeinde stark belasteten. Seit Ende 1985 habe der Antragsteller gemeinsam mit der Kirchenvorsteherin G. versucht, mit allen rechtlichen Mitteln die vom Kirchenvorstand beantragte und von der Kirchenleitung beschlossene Ernennung von Pfarrer B. zum Inhaber der Pfarrstelle I zu verhindern, weil er Nachteile für seine eigene Stellung in der Gemeinde befürchtet habe.
Es sei ohne Beispiel, dass ein Pfarrer ohne objektiven Grund und gegen den eindeutigen Willen des Kirchenvorstands mit kirchengerichtlichen Klagen gegen die Ernennung seines in derselben Gemeinde tätigen Kollegen zum Stelleninhaber vorgehe.
Schon dieser Vorgang schließe für sich genommen jede Möglichkeit für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kirchenvorstand und Pfarrer B. und damit eine gedeihliche Führung des Amtes des Antragstellers aus.
Am 15. April 1986 habe der Kirchenvorstand in Gegenwart von Propst L., Oberkirchenrat M. und Dekan N. mit 9 Stimmen bei 1 Enthaltung und 1 Gegenstimme festgestellt, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen dem Antragsteller einerseits und dem Kirchenvorstand und Pfarrer B. andererseits nicht mehr zu erwarten sei.
Er habe seine Versetzung beantragt und dringend gebeten, dem Antrag sobald wie möglich zu entsprechen und den Antragsteller bis zur endgültigen Lösung zu beurlauben, um weitere, die Gemeindearbeit belastende Konflikte zu vermeiden.
Im Hinblick auf diesen Beschluss bestehe zwischen dem Antragsteller und dem Kirchenvorstand nicht mehr das notwendige Vertrauensverhältnis, das die wesentliche Grundlage für eine Amtsführung des Pfarrers zum Wohle der Gemeinde bilde. Wenn der Kirchenvorstand, der für die Leitung der Gemeinde und das gesamte Gemeindeleben verantwortlich sei, die gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Antragsteller und zwischen beiden Pfarrern nicht mehr für möglich halte, so schließe dieser Umstand die weitere gedeihliche Amtsführung des Antragstellers aus.
Der Pfarrerausschuss habe nach Anhörung des Antragstellers in der Sitzung am 18. Juni 1986 der Versetzung des Antragstellers in den Wartestand einstimmig zugestimmt.
Da die Versetzung in eine andere Stelle nicht möglich sei, und die Gründe, die dem Verbleib des Antragstellers in der C........-Gemeinde entgegenstünden, eine gedeihliche Wirksamkeit auch in einem anderen pfarramtlichen Dienst zunächst nicht erwarten ließen, sei gemäß § 39 PfG die Versetzung des Antragstellers in den Wartestand geboten.
Im Anschluss an die Darlegung der Gründe für die Versetzung des Antragstellers in den Wartestand heißt es in dem Schreiben der Kirchenverwaltung:
"Im besonderen kirchlichen Interesse wird gemäß § 20 Abs. 1 des Kirchengesetzes über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht die sofortige Vollziehung der Entscheidung der Kirchenleitung über die Versetzung in den Wartestand angeordnet, um eine längere Verzögerung Ihrer Versetzung und damit eine weitere Belastung des Gemeindelebens zu vermeiden."
Mit Schriftsatz vom 15. Juli 1986 - bei Gericht eingegangen am 16. Juli 1986 - hat der Antragsteller Anfechtungsklage gegen seine Versetzung in den Wartestand erhoben und mit dieser Klage einen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung verbunden.
Zur Begründung des Aussetzungsantrags trägt er vor:
Der Sofortvollzug des Versetzungsbescheids sei von der Kirchenverwaltung angeordnet worden, er sei nicht von einem Beschluss der Kirchenleitung gedeckt. Die allein auf einer Entscheidung der Kirchenverwaltung beruhende Anordnung des Sofortvollzugs genüge aber nicht den §§ 39, 40 PfG.
Im übrigen sei auch die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Versetzungsverfügung evident.
Von daher rechtfertige sich ebenfalls der gestellte Aussetzungsantrag:
Er ziehe nicht in Zweifel, dass die Kirchenleitung am 30. Juni 1986 seine Versetzung in den Wartestand beschlossen habe. Indessen rühre der Versetzungsbescheid nicht von der Kirchenleitung her, vielmehr von der Kirchenverwaltung. Ein Bescheid der Kirchenverwaltung genüge aber den §§ 39, 40 Abs. 2 PfG nicht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 1 des Kirchenverwaltungsgesetzes. Die helfende und ausführende Funktion der Kirchenverwaltung beziehe sich allein auf das Innenverhältnis zwischen Kirchenleitung und Kirchenverwaltung, nicht aber auf das Außenverhältnis zum Kläger.
Die Entscheidung der Kirchenleitung nach § 39 PfG sei eine Ermessensentscheidung. Der angegriffene Bescheid lasse aber nicht erkennen, dass die Behörde Ermessenserwägungen angestellt habe.
Die Ausführungen der Kirchenbehörde deuteten vielmehr darauf hin, dass die Antragsgegnerin ohne weitere Prüfung, also auch ohne Ermessensprüfung, dem Wunsch des Kirchenvorstands auf Versetzung gefolgt sei.
Die Antragsgegnerin habe es im Gegensatz zu ihrer sonstigen Verwaltungspraxis im vorliegenden Fall unterlassen zu prüfen und zu erwägen,
- ob in der Tat die Gemeinde, nicht nur der Kirchenvorstand, von Spannungen betroffen sei,
- welche Gründe den Kirchenvorstand zu seinem Beschluss vom 15. April 1986 bewogen hätten und ob diese Gründe rechtlich schlüssig seien,
- ob es andere Möglichkeiten der Spannungsbeseitigung gebe, insbesondere durch Einwirkung auf Herrn B. sowie den Kirchenvorstand im Zuge von deren Zusammenarbeitsverpflichtung,
- ob die Kirchenleitung bzw. die Kirchenverwaltung ihrer Verpflichtung zur Vermittlung und zum Ausgleich nachgekommen sei.
Die Antragsgegnerin habe bei ihrer Ermessensausübung die Grenzen des mit dem Versetzungsermessen in Zusammenhang stehenden Rechtsbegriffs der ungedeihlichen Amtsführung verkannt. Tragende Grundlage des angegriffenen Versetzungsbescheids sei die Erwägung, allein die gegen Herrn B. gerichteten Klagen schlössen bereits eine gedeihliche Amtsführung aus. Die vom Antragsteller angestrengten Klagen seien jedoch in Wahrnehmung berechtigter Interessen erhoben und keinesfalls mutwillig oder schikanös gewesen. Sie erlaubten keinen Rückschluss auf eine gedeihliche oder ungedeihliche Amtsführung des Antragstellers.
Die Antragsgegnerin habe es ausdrücklich unterlassen zu prüfen, ob die gegen den Antragsteller gerichteten Vorwürfe tatsächlicher Art begründet seien. Die Antragsgegnerin verkenne dabei den Umfang des Rechtsbegriffs der ungedeihlichen Amtsführung. Allein der Hinweis auf den Wunsch des Kirchenvorstands sei nicht ausreichend. Die Antragsgegnerin müsse jedenfalls im Rahmen der Ermessensabwägung den Spannungsgründen nachgehen, da sie ohne Feststellung zu den Ursachen der Spannungen keine zutreffende Entscheidung zu fällen vermöge, was zur Beseitigung der aufgetretenen Spannungen getan werden könne.
In die von der Antragsgegnerin zu fordernde Ermessensabwägung müsse auch das Verhalten des Herrn B. gegenüber dem Kläger einbezogen werden. Dieser habe sich bereits während seiner Pfarrvikarzeit gegenüber dem Antragsteller in grober Weise unkollegial verhalten und gezielt seine Versetzung betrieben.
Der Kirchenvorstandsbeschluss vom 15. April 1986 könne für die Versetzungsentscheidung nicht die Bedeutung haben, die ihr die Antragsgegnerin beimesse. Der Kirchenvorstand sei zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung über die Vorwürfe des Antragstellers nicht unterrichtet gewesen.
Entgegen § 42 KGO habe Herr B. an der Beratung und der Beschlussfassung teilgenommen. Den Tatsachenbehauptungen, die in der Kirchenvorstandssitzung aufgestellt worden seien, sei der Antragsteller in seiner Eingabe vom 6. Juni 1986 entgegengetreten und habe damit auch die tatsächliche Grundlage des Kirchenvorstandsbeschlusses erschüttert.
Der erst ab 1. September 1985 im Amt befindliche Kirchenvorstand habe mit dem Antragsteller keine Erfahrungen gemacht haben können, weil dieser ab 19. September 1985 bis zur genannten Beschlussfassung krankgeschrieben gewesen sei.
Wortführer gegen den Antragsteller sei im Kirchenvorstand - wie bereits im alten Kirchenvorstand - Herr O. Dieser als Urheber von Spannungen im Kirchenvorstand vor 1983 habe frühere gegen den Antragsteller aufgestellte Behauptungen vor dem Kirchenvorstand formell zurücknehmen müssen.
Eine Versetzung nach § 35a PfG sei nur zulässig, wenn die Prognose einer dauerhaften Zerrüttung auf der bisherigen Pfarrstelle gestellt werden könne. Eine solche Prognose sei derzeit jedoch nicht statthaft, weil die Vermittlungsmöglichkeiten und Einwirkungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin nicht ausgeschöpft seien.
Schließlich habe die Antragsgegnerin nicht die besonderen Voraussetzungen für eine Versetzung in den Wartestand nach § 39 PfG dargetan. Diese erfordere - über den Tatbestand des § 35a PfG hinaus -, dass sich eine Versetzung in ein anderes Amt als undurchführbar erweise oder ein gedeihliches Wirken auch in einer anderen Pfarrstelle zunächst nicht zu erwarten sei.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung sei ferner auch deshalb begründet, weil keine Gründe ersichtlich seien, die es im Zuge der Interessenabwägung gebieten würden, dem kirchlichen Interesse Vorrang vor dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers zu geben.
Die Arbeit des Antragstellers in der Gemeinde sei durch die hier angesprochenen Vorgänge nicht belastet. Dies habe der Antragsteller namentlich nach der - leider nur kurzen - Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im Mai 1986 durch spontane Zustimmung aus Gemeindekreisen erfahren.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Bescheids der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau - Kirchenverwaltung - vom 4. Juli 1986 betreffend Versetzung des Antragstellers in den Wartestand auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie trägt vor:
Der Antragsteller habe keine Gründe vorgetragen, die das besondere kirchliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Wartestandes wie es im Bescheid vom 4. Juli 1986 ausführlich begründet worden sei, widerlegen würden.
Der Hinweis darauf, dass die Kirchenverwaltung nicht befugt gewesen sei, den Bescheid vom 4. Juli 1986 zu erlassen, sei abwegig. In § 1 Abs. 1 des Kirchenverwaltungsgesetzes sei ausdrücklich festgelegt, dass die Kirchenverwaltung die Beschlüsse der Kirchenleitung durchführe.
Über die Wartestandsversetzung und deren sofortige Vollziehung habe die Kirchenleitung in ihrer Sitzung am 30. Juni 1986 beschlossen.
Auf Grund einer vorbereitenden Anordnung des Vorsitzenden hat die Antragsgegnerin einen Auszug aus dem Protokoll der Kirchenleitung vom 30. 6. 1986 vorgelegt. Der von der Kirchenleitung gefasste Beschluss lautet hiernach:
"Pfarrer A. (geb. xx.x.xxxx),
Pfarrstelle II der C........gemeinde A., Dekanat A., wird mit Wirkung vom 1. August 1986 gemäß §§ - 35a Abs. 1c und 39 Pfarrergesetz in den Wartestand versetzt.
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Gründe II:

II.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist im wesentlichen begründet. Ihm ist insoweit stattzugeben, als die von der Kirchenverwaltung in ihrem Bescheid vom 4. Juli 1986 angeordnete sofortige Vollziehung der von der Kirchenleitung beschlossenen Versetzung des Antragstellers in den Wartestand aufzuheben ist. Denn die Vollzugsanordnung ist rechtswidrig.
Aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Auszug aus dem Protokoll der Kirchenleitung vom 30. Juni 1986 ergibt sich, dass - entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 22. Juli 1986 - die Kirchenleitung nicht den Sofortvollzug der Versetzung des Antragstellers in den Wartestand angeordnet hat. Diese Anordnung ist vielmehr offensichtlich von der Kirchenverwaltung getroffen worden. Auch der Wortlaut des Bescheids vom 4. Juli 1986 deutet darauf hin.
Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 KVVG ist jedoch nur das Organ, das den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, befugt, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Die Vorschrift enthält - ähnlich wie im staatlichen Recht § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (vgl. Kopp, VwGO, 7. Aufl., § 80 Rdnr. 41) - konstitutiv eine entsprechende Ermächtigung für das kirchliche Organ.
Sie ist eng - ihrem Wortlaut gemäß - auszulegen. Denn zwischen dem Verwaltungsakt selbst und der Anordnung des Sofortvollzugs besteht ein enger innerer Zusammenhang; die Anordnung des Sofortvollzugs ist akzessorisch. Sollte eine andere Stelle als die, die den Verwaltungsakt erlassen hat, befugt sein, den Sofortvollzug anzuordnen, müsste dies im Kirchenrecht klar zum Ausdruck gebracht werden, so wie dies z. B. im staatlichen Recht in § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO in bezug auf die Widerspruchsbehörde geschehen ist.
Es kann daher nicht etwa aus dem Kirchenverwaltungsgesetz und der Geschäftsordnung bzw. der Befugnisregelung der Kirchenverwaltung eine Zuständigkeit für die Anordnung des Sofortvollzugs hergeleitet werden, wenn der Verwaltungsakt selbst von der Kirchenleitung beschlossen worden ist. Zutreffend hat die Kirchenleitung auch in anderen, dem Gericht bekannt gewordenen Fällen selbst den Sofortvollzug angeordnet, wenn dies beabsichtigt war.
Das Gericht muss sich bei einem Mangel der Vollzugsanordnung, wie er hier vorliegt, darauf beschränken, die Anordnung des Sofortvollzugs aufzuheben (vgl. Kopp a.a.O., Rdnr. 76).
Es kann nicht die Aussetzung der Vollziehung schlechthin anordnen, weil sonst (jedenfalls nach herrschender Meinung) der Kirchenleitung die Möglichkeit genommen würde, den Sofortvollzug noch nachträglich anzuordnen.
Das Gericht hält sich mit der getroffenen Entscheidung in dem nach § 29 KVVG bindenden Rahmen des von dem Antragsteller gestellten Antrags (vgl. Kopp a.a.O., Rdnr. 76).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 36 KVVG, § 38 KVVG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.