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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:17.03.2022
Aktenzeichen:KVVG II 7/19
Rechtsgrundlage:§§ 50, 51, 56 MAVG; Art. 19 Abs. 4 GG; §§ 2, 3 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Mitarbeitervertretungsrecht, Prozessrecht, Rechtsschutz, Schlichtungsstelle
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Leitsatz:

  1. Eine bindende Entscheidung der Schlichtungsstelle nach § 56 Abs. 3 MAVG kann nicht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht sein.
  2. Bei der Schlichtungsstelle gemäß Kapitel IX. MAVG handelt es sich um ein besonderes kirchliches Gericht.

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten trägt die Klägerin.
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Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Teilaufhebung eines Beschlusses der Schlichtungsstelle zu deren Aktenzeichen 11-4/19 vom 23.05.2019. Gegenstand dieses Schlichtungsverfahrens war ein Antrag der Klägerin auf Ersetzung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu einer ordentlichen Kündigung mit der Behauptung, die Mitarbeitervertretung habe ihre Befugnisse fehlerhaft bzw. missbräuchlich ausgeübt.
Die Klägerin beabsichtigte die Kündigung einer Mitarbeiterin in der Probezeit durch ordentliche Kündigung. Die erste Kündigung erfolgte am 13.04.2019 zum 30.04.2019 und wurde am gleichen Tag, einem Samstag, per Boten zugestellt. Der Antrag auf Erteilung der Zustimmung gemäß § 39 Abs. 2 MAVG wurde ebenfalls am 13.04.2019 per Mail an die Mitarbeitervertretung geschickt. Die Mitarbeitervertretung lehnte die Bearbeitung ab.
Unter dem 16.04.2019 stellte die Klägerin einen neuen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung der Mitarbeiterin. Gekündigt werden sollte nun zum 31.05.2019, eine vorherige Kündigung unterblieb. Auch dieser Kündigung widersprach die Mitarbeitervertretung und verweigerte am 23.04.2019 die Zustimmung.
Am gleichen Tag beantragte die Klägerin bei der Schlichtungsstelle gemäß § 52 Abs. 1 MAVG die Ersetzung der Zustimmung zu beiden Kündigungen, die Feststellung einer Pflichtverletzung der Mitarbeitervertretung sowie eine Abberufung des stellvertretenden Vorsitzenden.
In ihrer Sitzung vom 23.05.2019 lehnte die Schlichtungsstelle die Ersetzung der Zustimmung zur ersten Kündigung ab und ersetzte die Zustimmung zur zweiten Kündigung. Die Feststellung einer Pflichtverletzung und die Abberufung des stellvertretenden Vorsitzenden lehnte die Schlichtungsstelle mangels Fehlverhaltens ab.
Gegen die Nichtersetzung der Zustimmung zur ersten Kündigung und die dazu ergangene Begründung der Schlichtungsstelle richtet sich die von der Klägerin am 28.06.2019 beim erkennenden Gericht eingereichte Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Schlichtungsstelle missachte das MAVG und ersetze mit ihrer Begründung des angegriffenen Beschlusses eine im MAVG enthaltene kirchenrechtliche Sonderstellung der Mitbestimmungsregularien der EKHN durch zivilrechtliche Normen. Die Schlichtungsstelle deute die Einreichungsfrist des § 39 Abs. 2 MAVG in eine Zugangsfrist um und fasse dadurch einen Beschluss, der den Fakten des Ablaufes widerspreche. Ein derartiger Verstoß gegen das Willkürverbot und das Rechtsstaatsprinzip müsse auch bei bindenden Entscheidungen gerügt werden können.
Die Klägerin beantragt,
  1. den Beschluss zu Nr. 1 der Schlichtungsstelle (Verfahren 11-4/2019 vom 23.05.2019; Beschlussprotokoll vom 11.06.2019, im Besonderen auf der Grundlage der als grundsätzlich bestimmten Begründung und Rechtsinterpretation zu den Anträgen 1 + 2) aufgrund des Willkürverbots und der Missachtung des Rechtsstaatsprinzips aufzuheben;
  2. die auf fehlerhafte Rechtsumdeutung beruhenden Aspekte (§ 39 Abs. 2 MAVG: Einreichungsfrist vs. Zugangsfrist) und die offensichtlich die Tatsachen verdrehende Begründung der Schlichtungsstelle zum Antrag 1 aus dem Verfahren 11-4/2019 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die Klage sei nicht statthaft, weil gegenüber den bindenden Entscheidungen der Schlichtungsstelle kein weiterer Rechtsschutz vorgesehen sei. Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das Gericht hat die Klägerin bereits bei Klageeingang darauf hingewiesen, dass die Klage nicht statthaft und damit unzulässig sein dürfte.
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Entscheidungsgründe:

Die Kammer entscheidet ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten zu dieser Verfahrensweise ihre Zustimmung erteilt haben (§ 31 KVVG).
Die Klage ist unzulässig und daher abzuweisen.
Eine bindende Entscheidung der Schlichtungsstelle nach § 56 Abs. 3 MAVG kann nicht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht sein.
Der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ist als Religionsgesellschaft verfassungsrechtlich garantiert, dass sie ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetze selbständig ordnet und verwaltet (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Verfassung). Dazu gehört auch, dass die EKHN selbst bestimmen kann, für welche in ihrem kirchlichen Bereich erwachsenden Streitigkeiten sie eine kirchengerichtliche Zuständigkeit einräumen will (so bereits das Urteil der 1. Kammer des KVVG vom 19.01.1955 – I 1/53 – im Fall „C-Stadter A-Verband“, abgedruckt in Nr. 1 der Entscheidungssammlung). Es gibt auch im Kirchenrecht keine dem Art. 19 Abs. 4 GG entsprechende Generalklausel, wonach jemand, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG kann auch keine die EKHN bindende Verpflichtung zur umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutzgewährung abgeleitet werden, weil dieser Rechtsschutz nur gegen staatliche Maßnahmen garantiert. Demgemäß ist im Kirchengesetz über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht (KVVG) in den §§ 2 und 3 nur eine enumerative Zuständigkeit mit der Maßgabe enthalten, dass das Gericht für sonstige Aufgaben zuständig ist, die ihm durch Kirchengesetz übertragen werden (vgl. § 3 Abs. 3 KVVG). Korrespondierend hierzu enthält § 5 Nr. 6 KVVG die klarstellende Aussage, dass das KVVG nicht zuständig ist für die Anfechtung von Entscheidungen in sonstigen Angelegenheiten, für die eine Zuständigkeit des Gerichts durch Kirchengesetz ausgeschlossen ist (KVVG der EKHN, Beschluss vom 05.09.2003 – KVVG II 5-7/03 –).
So liegt es hier. Der Kirchengesetzgeber der EKHN hat sich dazu entschlossen, keine Anfechtung von gerichtlichen Entscheidungen der Schlichtungsstelle gemäß Kapitel IX. MAVG zu eröffnen:
Bei der Schlichtungsstelle gemäß Kapitel IX. MAVG handelt es sich um ein besonderes kirchliches Gericht. Sie entscheidet in Angelegenheiten der Mitbestimmung nach §§ 49 Satz 3, 52 Abs. 1 MAVG abschließend.
Eine Überprüfung ihrer Entscheidungen ist deshalb nicht möglich. Dies ist in den §§ 2, 3 KVVG nicht vorgesehen und dem KVVG auch nicht durch sonstiges Kirchenrecht, vgl. § 3 Abs. 3 KVVG, zugewiesen. Insbesondere sieht das MAVG eine solche Überprüfung nicht vor. Das verkennt die Klägerin, die durch das angerufene Gericht im Ergebnis eine Überprüfung der Argumente der Schlichtungsstelle sowie eine Aufhebung von deren, ihr missliebigen, Entscheidung über den Antrag zu 1. erreichen will. Es gibt kein Rechtsmittel, mit dem dieses Ziel verfolgt werden könnte. Dies folgt aus dem abschließenden und bindenden Charakter des Beschlusses der Schlichtungsstelle, bei dem es sich nicht um einen nach § 3 Abs.1 Nr.1 KVVG anfechtbaren Verwaltungsakt handelt, sondern um eine nicht mehr anfechtbare gerichtliche Entscheidung.
Die Schlichtungsstelle gemäß §§ 49 ff MAVG erfüllt eine Doppelfunktion. Aus den Kompetenzzuweisungen ergibt sich, dass die Schlichtungsstelle sowohl Regelungsmacht besitzt als auch Rechtsstreitigkeiten entscheidet, also schlichtende und rechtsprechende Funktionen ausübt.
Sie ist zuständig für Streitigkeiten, die, wäre Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungsrecht anwendbar, von den Arbeits- bzw. Verwaltungsgerichten im Beschlussverfahren zu entscheiden wären. Maßgeblich ist insoweit, dass die Schlichtungsstelle aus der Sicht des Staatskirchenrechts als besonderes kirchliches Gericht tätig wird.
Die Schlichtungsstelle nach dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht genügt auch den Mindestanforderungen, die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen an ein Gericht zu stellen sind.
Nach § 51 Abs. 1 MAVG sind die Mitglieder der Schlichtungsstelle unabhängig und nur an das Gesetz und ihr Gewissen gebunden. Nach § 50 Abs. 2 MAVG werden der Vorsitzende der Schlichtungsstelle und sein Stellvertreter von der Kirchensynode auf die Dauer von fünf Jahren berufen. Sie müssen die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst besitzen und dürfen hauptberuflich nicht im Dienst der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau oder einer ihrer Körperschaften, Einrichtungen oder Werke stehen (§ 50 Abs. 2 MAVG). Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen, nämlich die persönliche und sachliche Unabhängigkeit der Mitglieder der Schlichtungsstelle und ihre Befähigung zur Rechtsprechung gesichert. Dass die Schlichtungsstelle auch schlichtende Funktionen ausübt, steht ihrer Anerkennung als ordnungsgemäßem Gericht nicht entgegen.
Soweit die Klägerin weiter beantragt hat, den Streitwert auf 500 € festzusetzen, besteht dafür kein Bedürfnis, weil das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist, § 36 S. 1 KVVG.
Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 38 KVVG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VWGO.