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Geltungszeitraum von: 01.10.1975

Geltungszeitraum bis: 31.12.2017

Leitlinien für die Arbeit der Evangelischen Studentengemeinde im Bereich der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Vom 18. August 1975

(ABl. 1975 S. 157)

Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat in ihrer Sitzung vom 18. August 1975 im Benehmen mit dem Leitenden Geistlichen Amt die folgenden Leitlinien für die Arbeit der Evangelischen Studentengemeinden beschlossen:
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I. Grundsatzregelungen

( 1 ) Evangelische Studentengemeinden sind nach ihrem eigenen Selbstverständnis Gemeinden Jesu Christi. Damit bekennen sie sich zu dem Auftrag der Kirche, der Menschenfreundlichkeit Gottes Raum zu geben. Dieser Auftrag ist der einzige Maßstab, nach dem sich ihre Arbeit richten soll. Sie geschieht im Rahmen der Ordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.
( 2 ) Die Situation an den Hochschulen und Fachhochschulen verlangt besondere Schwerpunkte und ungewohnte Formen kirchlicher Arbeit. In allen Lebensformen und Tätigkeiten bleibt aber auch für die Studentengemeinden die Verpflichtung grundlegend, den Glauben an Jesus Christus in der Gemeinschaft, in der Seelsorge, in der Verkündigung und in der helfenden Tat zu bezeugen.
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II. Besondere Aufgabengebiete

( 3 ) Die Lebens- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen verursachen bei vielen Studenten in wachsendem Maß Gefühle der Einsamkeit, der Orientierungslosigkeit und Angst. Die Studentengemeinden haben darum die Chance und Aufgabe, die von Gott gestiftete Gemeinschaft in verschiedenen Formen anzubieten und einzuüben:
  • als zweckfreies Zusammensein zur Entlastung von Leistungsdruck und Prüfungsangst;
  • als offene Form geistiger Auseinandersetzung;
  • als Projektgruppe oder Lerngemeinschaft;
  • als Feld zum Einüben in Spielregeln der Kommunikation und Humanität.
Die Studentengemeinden sollen versuchen, vielfältige Formen möglicher Gemeinschaft zu verwirklichen, damit Menschen trotz unterschiedlicher Interessen, Erfahrungen und Überzeugungen einander begegnen können. Die Studentengemeinden bieten allen Mitgliedern der Hochschule, den Studenten und Dozenten Möglichkeiten zur Mitarbeit an.
( 4 ) In Anbetracht der besonderen psychischen Belastungen, denen die Studenten ausgesetzt sind, sind Seelsorge und Beratung eine vordringliche Aufgabe. Die Studentenpfarrer können diese Aufgabe nicht im notwendigen Umfang wahrnehmen. Eine intensive Zusammenarbeit der Studentengemeinden mit anderen Beratungsstellen ist darum erforderlich. Darüber hinaus muss nach Möglichkeiten gesucht werden, Mitglieder der Studentengemeinden aus dem Lehrkörper und aus der Studentenschaft für eine Mitarbeit in Seelsorge auszubilden.
( 5 ) Die Aufgabe der gottesdienstlichen Verkündigung stößt in den Hochschulen auf besondere Schwierigkeiten. Dabei mischt sich die Kritik an den überkommenen Formen des Gottesdienstes mit der Skepsis gegenüber den Aussagen des christlichen Glaubens.
Trotzdem ist in einer von den Wissenschaften geprägten Gesellschaft die Frage nach der Wahrheit und nach den Werten, die Orientierung ermöglichen, unüberhörbar. Bei der Suche nach Antworten ist die Studentengemeinde den Studierenden und Lehrenden an der Hochschule die Wahrheit Jesu Christi schuldig. Darum werden die Studentengemeinden nach Möglichkeiten und Formen der Verkündigung suchen, in denen sich der christliche Glaube verständlich darstellen kann.
Außer den Gottesdiensten in den Studentengemeinden selbst sollen zusammen mit benachbarten Ortsgemeinden Gottesdienste vorbereitet und gehalten und die Mitglieder der Hochschule dazu eingeladen werden.
( 6 ) Nicht wenige, insbesondere ausländische Studenten, befinden sich zur Zeit in einer bedrückenden wirtschaftlichen Notlage. Die Studentengemeinden bemühen sich darum in Einzelfällen besonderer Not zu helfen. Sie sollen dabei mit anderen sozialen und diakonischen Einrichtungen eng zusammenarbeiten. Zugleich müssen sie versuchen, die Öffentlichkeit auf die kritischen Verhältnisse an den Universitäten aufmerksam zu machen und nach deren Ursachen zu fragen. Insofern haben die Studentengemeinden als Teil ihres christlichen Gesamtauftrags auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Dabei müssen sie jedoch darauf achten, dass sie durch die Art, in der sie diese Verantwortung wahrnehmen, nicht die gewaltfreie Herrschaft Jesu Christi unglaubwürdig machen.
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III. Verbindung zur Ortsgemeinde und Gesamtkirche; Beraterkreise

( 7 ) Die Studentengemeinden sind infolge ihrer besonderen Situation an den Hochschulen in der Gefahr, den Zusammenhalt mit der Gesamtkirche und ihren Gemeinden zu verlieren. Ebenso fehlen den Ortsgemeinden oft Kenntnisse der besonderen Probleme und notwendigen Arbeitsformen der Studentengemeinden. Um dieser Gefahr zu begegnen, sollen die Studentengemeinden
  • mit benachbarten Ortsgemeinden engen Kontakt halten, nach Möglichkeit zu gemeinsamen Gottesdiensten mit ihnen zusammenkommen und gemeinsam Projekte mit ihnen durchführen
  • in den Dekanatssynoden mitarbeiten;
  • sich von dem zuständigen Propst beraten lassen;
  • der Kirchenleitung regelmäßig über ihre Arbeit und Planung berichten.
( 8 ) Darüber hinaus werden für jede einzelne Studentengemeinde einige Personen aus Hochschule und Kirche im Benehmen mit der Studentengemeinde für jeweils drei Jahre von der Kirchenleitung berufen. Größe und Zusammensetzung dieses Beraterkreises können örtlich verschieden sein. Der Beraterkreis soll die betreffende Studentengemeinde bei der Gestaltung von Arbeitsrichtlinien und -vorhaben sowie in Satzungsfragen beraten und in Konfliktfällen vermitteln. Bei der Besetzung von Studentenpfarrstellen ist der Beraterkreis zu hören. Er berichtet der Kirchenleitung in regelmäßigen Abständen über seine Arbeit.
( 9 ) Neben den evangelischen Studentengemeinden arbeiten in den Hochschulen auch andere christliche Gemeinden und Gruppen. Die evangelischen Studentengemeinden sollen um eine enge Zusammenarbeit mit ihnen bemüht sein.
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IV. Organisation; Studentenpfarrer

( 10 ) Die Verschiedenheit zwischen den einzelnen Studentengemeinden und die rasche Fluktuation ihrer Mitglieder machen es unmöglich, ihre Struktur in einer gemeinsamen Satzung im einzelnen festzulegen. Jede Studentengemeinde wählt einen Mitarbeiterkreis, der zusammen mit dem Studentenpfarrer für die Studentengemeinde verantwortlich ist. Die Zusammensetzung und die Namen der gewählten Mitglieder im Mitarbeiterkreis werden der Kirchenverwaltung über den Propst mitgeteilt. Öffentliche Verlautbarungen im Namen der Studentengemeinde bedürfen der Zustimmung des Studentenpfarrers.
Studenten, die keiner christlichen Kirche angehören, sind eingeladen, in der Studentengemeinde mitzuarbeiten. Sprecher für die Studentengemeinde können sie jedoch nicht sein.
( 11 ) Die Studentenpfarrer werden von der Kirchenleitung berufen. Die Studentengemeinden sind vorher zu hören.
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V. Inkrafttreten

( 12 ) Diese Leitlinien treten am 1. Oktober 1975 in Kraft. Sie sollen nach Ablauf von drei Jahren überprüft werden.