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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:07.02.1986
Aktenzeichen:KVVG II 2/86
Rechtsgrundlage:§ 44 KGO; §§ 25,26 PfStG; §§ 6,20,38 KVVG; § 88 VwGO
Vorinstanzen:
Schlagworte:, Anfechtungsklage, Aufschiebende Wirkung, Ernennung, Pfarrstellenbesetzung
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Leitsatz:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Beschluss der Kirchenleitung vom 16. Dezember 1985, durch den Pfarrer B. zum Inhaber der Pfarrstelle I der C.........-Gemeinde in A. ernannt wurde, aufschiebende Wirkung hat. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Beide Parteien tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
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Gründe I:

I.
Der aus 14 Personen bestehende Kirchenvorstand der C..........-Gemeinde in A. beschloss in seiner Sitzung am 15. Oktober 1985 mit 9 : 1 Stimmen, bei der Kirchenleitung zu beantragen, Pfarrvikar B., der seit dem 1. November 1983 die Pfarrstelle I (Nord) der Gemeinde verwaltete, zum Inhaber dieser Pfarrstelle zu ernennen. Der Beschluss des Kirchenvorstands wurde am darauf folgenden Sonntag, dem 20. Oktober 1985, im Gottesdienst bekannt gemacht und dabei zugleich auf die Möglichkeit, gemäß § 25 Abs. 2, § 26 Abs. 1 PfStG Einspruch einzulegen, hingewiesen.
Gegen den Kirchenvorstandsbeschluss erhob Pfarrer A., seit dem 1. August 1972 Inhaber der Pfarrstelle II (Süd) in der Gemeinde, mit Schreiben an den Dekanatssynodalvorstand A. vom 28. Oktober 1985 gemäß § 44 KGO Einspruch.
Dieser Einspruch wurde vom Dekanatssynodalvorstand mit Beschluss vom 27. November 1985 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss wurde Pfarrer A. am 23. Dezember 1985 zugestellt. Mit Schreiben vom 4. Januar 1986, eingegangen bei der Kirchenleitung am 6. Januar 1986, erhob dieser Beschwerde gegen den Beschluss des Dekanatssynodalvorstands. Die Kirchenleitung hat über diese Beschwerde bisher nicht entschieden.
Auch über ein von Pfarrer A. mit einem Schreiben an den zuständigen Dekan vom 2. November 1985 gemäß § 26 PfStG gegen die beabsichtigte Ernennung von Pfarrer B. erhobenen Einspruch ist bisher eine Entscheidung nicht ergangen.
Die Antragstellerin, Mitglied des Kirchenvorstands der C.........-Gemeinde, erhob ebenfalls, und zwar mit Schreiben vom 1. November 1985, Einspruch gemäß § 26 PfStG gegen die beabsichtigte Ernennung von Pfarrer B. Dieser Einspruch wurde von der Kirchenleitung mit Beschluss vom 16. Dezember 1985 als unbegründet zurückgewiesen. Zugleich beschloss die Kirchenleitung, Pfarrer B. zum 1. Januar 1986 zum Inhaber der Pfarrstelle I der C.........-Gemeinde zu ernennen. Die Beschlüsse der Kirchenleitung wurden der Antragstellerin mit Schreiben vom 19. Dezember 1985, zugestellt am 23. Dezember 1985, mitgeteilt, verbunden mit der Belehrung, dass sie gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs Klage beim Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht erheben könne.
Gegen die von der Kirchenleitung am 16. Oktober 1985 beschlossene Ernennung von Pfarrer B. zum Inhaber der Pfarrstelle I der C.........-Gemeinde hat die Antragstellerin mit einem am 23. Januar 1986 bei Gericht eingegangenen Schreiben Anfechtungsklage erhoben. Sie macht mit der Klage geltend:
Gegen den Kirchenvorstandsbeschluss vom 15. Dezember 1985, auf Grund dessen die Kirchenleitung am 16. Dezember 1985 ihren Ernennungsbeschluss fasste, seien zum Zeitpunkt der Beschlussfassung Rechtsmittel eingelegt gewesen bzw. hätten mit entsprechenden Fristenläufen offen gestanden. Die Rechtsmittel hätten aufschiebende Wirkung gehabt. Durch den Ernennungsbeschluss seien entgegen dem kirchlichen Recht sämtliche eingelegten oder offen stehenden Rechtsmittel vor Fristablauf außer Kraft gesetzt worden.
Sie wende sich gegen die Ernennung von Pfarrer B. zum Inhaber der Pfarrstelle I wegen der ungeklärten Pfarrstellensituation in der Gemeinde, in der es wegen des starken Rückgangs der Zahl der Gemeindeglieder auf die Dauer keine zwei Pfarrstellen mehr geben werde. Sie habe auch gegen die Person von B. Bedenken auf Grund entsprechender Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit ihr als der damaligen Kirchenvorstandsvorsitzenden und Pfarrer A. als seinem Kollegen und stellvertretenden Kirchenvorstandsvorsitzenden während der zweijährigen Pfarrvikarzeit von B. Dieser habe aktiv Einfluss genommen auf den Kirchenvorstand sowie Mitarbeiter der Gemeinde und Gemeindeglieder zu seinen eigenen Gunsten und vor allem gegen seinen Amtskollegen Pfarrer A. Er habe die Amtsverschwiegenheit nicht gewahrt, Fraktionsbildung im Kirchenvorstand bewirkt und auch bei der Kirchenvorsteherwahl als Vorsitzender des Wahlausschusses nicht die gebotene Zurückhaltung und Neutralität gewahrt. Es sei nicht zu verantworten, die Pfarrstelle I mit einem Pfarrer zu besetzen, der erklärt habe, ihm sei eine Zusammenarbeit mit dem langjährigen Inhaber der anderen Pfarrstelle nicht möglich, und der auf den Kirchenvorstand Einfluss genommen habe mit dem Ziel, ihn zu einem Votum gegen seinen Amtskollegen zu veranlassen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Ernennungsbeschlusses der Kirchenleitung vom 16. Dezember 1985 aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hält den Antrag für unzulässig. Die Aufhebung der Vollziehung eines im Zeltpunkt der Entscheidung schon vollzogenen Verwaltungsakts könne vom Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht nach § 20 Abs. 2 KVVG nur angeordnet werden, wenn der Vollzug eines den Antragsteller beschwerenden Verwaltungsakts ihn wesentlich benachteiligen könnte und deshalb eine vorläufige Rechtsschutzregelung geboten wäre. Dies ergebe sich aus dem Sachzusammenhang zwischen der Aufhebung der Vollziehung und der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage. Die aufschiebende Wirkung nach § 20 Abs. 1 KVVG gelte ihrer Natur nach nur für die Anfechtung beschwerender Verwaltungsakte. Die angefochtene Ernennung sei jedoch ein Verwaltungsakt, der Pfarrer B. begünstige und die Antragstellerin rechtlich nicht benachteilige. Dem stehe nicht entgegen, dass die Ernennung die Zurückweisung des Einspruchs der Antragstellerin voraussetze und insoweit ihre rechtlichen Interessen als Einspruchsführerin berührt seien.
Der Einspruch nach den Vorschriften des Pfarrstellengesetzes diene im Unterschied zu den Rechtsbehelfen gegen beschwerende Verwaltungsakte nicht dem Rechtsschutz des einspruchsberechtigten Gemeindegliedes, sondern ausschließlich dem kirchlichen Interesse an einer gesetzmäßigen Besetzung der Pfarrstelle mit einem Pfarrer, gegen den keine der in § 26 Abs. 1 PfStG genannten Gründe vorgebracht würden. Die Zurückweisung des Einspruchs und die damit verbundene Ernennung von Pfarrer B. zum Stelleninhaber berührten zwar die rechtlichen Interessen der Antragstellerin im Sinne von § 6 Nr. 3 KVVG, stellten aber darüber hinaus keinen unmittelbar nachteiligen Eingriff in ihre eigenen Rechte dar, der einen vorläufigen Rechtsschutz zum Nachteil des durch die Ernennung begünstigten Pfarrers B. rechtfertigen könnte. Wäre die Ernennung noch nicht vollzogen, so hätte die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. Die Antragstellerin sei deshalb auch nicht berechtigt, die Aufhebung der Vollziehung zu beantragen, da dies im Ergebnis einer Wiederherstellung der nicht zulässigen aufschiebenden Wirkung gleichkäme.
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Gründe II:

II.
Auf Grund des Antrags der Antragstellerin war zur Klärung dieser zwischen den Parteien streitigen Frage festzustellen, dass die von der Antragstellerin gegen den Ernennungsbeschluss der Kirchenleitung vom 16. Dezember 1985 erhobene Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat. Soweit ihr Antrag darüber hinausgeht, war er abzuweisen. Das Gericht hält sich mit der getroffenen Feststellung im Rahmen des gestellten Antrags (§ 38 KVVG, § 88 VwGO). Es ist für die nach § 38 KVVG entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung anerkannt, dass eine solche Feststellung getroffen werden kann, wenn die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage streitig ist (Eyermann-Fröhler, VwGO, 8. Aufl., § 80 RdNr. 14; Kopp, VwGO, 6. Aufl., § 80 RdNr. 75). Die getroffene Feststellung wird zwar nicht vom Wortlaut des gestellten Antrags umfasst, sie liegt jedoch im Rahmen des erkennbaren Rechtsschutzziels des Antragsbegehrens (zu dem Problem vgl. Kopp a.a.O., § 88 RdNr. 1 und 3).
Die von der Antragstellerin erhobene Anfechtungsklage hat aufschiebende Wirkung, weil nach § 20 Abs. 1 Satz 1 KVVG diese Wirkung ausnahmslos jede Anfechtungsklage hat, es sei denn, die sofortige Vollziehung ist im besonderen kirchlichen Interesse angeordnet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 2 KVVG). Letzteres ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Eine Beschränkung der vom Kirchengesetzgeber umfassend für die Anfechtungsklage angeordneten aufschiebenden Wirkung ergibt sich auch nicht aus der Natur der aufschiebenden Wirkung oder aus ergänzend anzuwendenden Vorschriften der VwGO. Bei dem angefochtenen Ernennungsbeschluss der Kirchenleitung handelt es sich um einen gestaltenden Verwaltungsakt. Gestaltende Verwaltungsakte bezieht § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO jedoch ausdrücklich in die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ein. Selbst wenn man diese Vorschrift im Rahmen des KVVG nicht gemäß dessen § 38 entsprechend anwenden wollte, wäre ein Umkehrschluss aus der Tatsache, dass § 20 Abs. 1 KVVG im Gegensatz zu § 80 Abs. 1 VwGO gestaltende Verwaltungsakte nicht erwähnt, nicht gerechtfertigt. Denn § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO stellt keine konstitutive Regelung dar, die Vorschrift dient vielmehr lediglich der Klarstellung (Kopp a.a.O., § 80 RdNr. 6).
Die aufschiebende Wirkung erfasst auch nicht ihrer Natur nach lediglich den Anfechtungskläger beschwerende Verwaltungsakte, wie die Antragsgegnerin meint. Beschwerende Verwaltungsakte werden von Eyermann-Fröhler (8. Aufl., § 80 RdNr. 2) lediglich als ein Anwendungsfall - wenn auch der Hauptanwendungsfall - der von der aufschiebenden Wirkung erfassten Verwaltungsakte genannt. Die aufschiebende Wirkung tritt auch ein z. B. bei Zustandsregelungen {dinglichen Verwaltungsakten) und Organisationsakten, die in der Form von Verwaltungsakten ergehen {Kopp a.a.O. § 80 RdNr. 7).
Die Anfechtungsklage mit ihrer aufschiebenden Wirkung betrifft im staatlichen Bereich zwar in der Regel Verwaltungsakte, die den Kläger belasten. Dies ist jedoch nicht Wesensmerkmal der aufschiebenden Wirkung, beruht vielmehr darauf, dass klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO grundsätzlich nur der ist, der durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt ist. Das Kirchenrecht macht demgegenüber die Antragsberechtigung lediglich davon abhängig, dass rechtliche Interessen des Antragstellers berührt sind {§ 6 Nr. 3 KVVG). Aber auch im staatlichen Recht gibt es auf Grund von abweichenden Einzelregelungen Ausnahmen von dem Grundsatz, dass klagebefugt nur ist, wer in seinen Rechten verletzt ist (Kopp a.a.O., § 42 RdNr. 103 und 104). Auch in diesen Fällen hat die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Einzelfall etwas anderes angeordnet.
Selbst in dem (Normal) Fall, in dem im staatlichen Bereich klagebefugt nur der ist, der durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt ist, wird vielfach die Ansicht vertreten, sogar die Klage eines Klägers, der nicht in seinen Rechten verletzt und somit nicht klagebefugt ist, habe aufschiebende Wirkung (vgl. Eyermann-Fröhler a.a.O., § 80 RdNr. 14; Kopp a.a.O., § 80 RdNr. 29). Andere machen die aufschiebende Wirkung davon abhängig, dass die Klage zulässig, wieder andere davon, dass sie nicht offensichtlich unzulässig ist. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts tritt die aufschiebende Wirkung angesichts des Wortlauts des § 20 Abs. 1 Satz 1 KVVG bei einer Anfechtungsklage allenfalls dann nicht ein, wenn sie offensichtlich unzulässig ist, wenn also insoweit jeder Zweifel schlechthin ausgeschlossen ist (Kopp a.a.O.). Davon kann im vorliegenden Fall jedoch bezüglich der Klagebefugnis der Antragstellerin nicht die Rede sein, da diese von der Antragsgegnerin selbst nicht in Zweifel gezogen wird.
Für die über die vom Gericht getroffene Feststellung hinaus von der Antragstellerin beantragte Aufhebung der Vollziehung des Ernennungsbeschlusses der Kirchenleitung vom 16. Dezember 1985 fehlt es an der erforderlichen tatsächlichen Grundlage, weil die Parteien nichts über irgendwelche Vollzugsmaßnahmen vorgetragen haben und dem Gericht auch sonst solche nicht erkennbar geworden sind. Die Parteien scheinen irrtümlich davon auszugehen, dass der Ernennungsbeschluss selbst einschließlich der zu seiner Wirksamkeit erforderlichen Bekanntmachung an die Betroffenen schon eine Vollzugsmaßnahme im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 2 KVVG sei. Dies ist jedoch nicht richtig. Der Ernennungsbeschluss ist der Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage angefochten worden ist und von ihrer aufschiebenden Wirkung erfasst wird (zur aufschiebenden Wirkung bei gestaltenden Verwaltungsakten vgl. Eyermann-Fröhler a.a.O., § 80 RdNr. 4; Kopp a.a.O., § 80 RdNr. 15 und 16). Nur wenn auf Grund dieses Verwaltungsakts irgendwelche weiteren (Vollzugs) -Maßnahmen erfolgt sind, stellt sich die Frage ihrer Aufhebung (vgl. Eyermann-Fröhler a.a.O., § 80 RdNr. 42 und 43; Kopp a.a.O., § 80 RdNr. 14, 72 und 73).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 36 Satz 1 KVVG, § 38 KVVG, § 155 Abs. 1 VwGO.