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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss
Datum:15.06.1984
Aktenzeichen:KVVG I 2/84
Rechtsgrundlage:§ 50 KGO; §§ 20,38 KVVG; §§ 80,101,123 VwGO
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aberkennung des Amtes, Aussetzung der sofortigen Vollziehung, Kirchenvorsteher, Vorsitz im Kirchenvorstand
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Leitsatz:

Ist gegenüber dem Vorsitzenden eines Kirchenvorstandes die Aberkennung des Amtes als Kirchenvorsteher und damit auch seines Vorsitzendenamtes ausgesprochen und die sofortige Vollziehung angeordnet worden, so kann im Verfahren nach § 20 Abs. 2 KVVG die sofortige Vollziehung auf den Entzug des Amtes als Vorsitzender des Kirchenvorstandes beschränkt werden.

Tenor:

Die sofortige Vollziehung der durch Beschluss des Dekanatssynodalvorstandes vom 7.3.1984 und Beschwerdeentscheidung der Kirchenleitung vom 28.5./29.5.1984 dem Antragsteller gegenüber ausgesprochenen Aberkennung des Amtes als Kirchenvorsteher und als Vorsitzender des Kirchenvorstandes wird bezüglich der Aberkennung des Amtes als Kirchenvorsteher ausgesetzt.
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung wird, soweit er das Amt des Vorsitzenden des Kirchenvorstandes betrifft, zurückgewiesen.
Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.
Jede Partei trägt ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.
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Gründe I:

I.
Der Antragsteller ist seit 1976 Mitglied des Kirchenvorstandes der Evangelischen Kirchengemeinde A-Süd und seit 1979 Vorsitzender des Kirchenvorstandes.
Seit Ende des Jahres 1982 bestehen im Kirchenvorstand und der Gemeinde erhebliche Spannungen und Konflikte, in die der Antragsteller verwickelt ist.
Der Antragsteller hat in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Kirchenvorstandes gegen verschiedene Amtsträger in der Gemeinde und im Dekanat zahlreiche Beanstandungen erhoben und Beschwerden geführt, so gegen Pfarrer C., Dekan D., Pfarrer E., Frau F. als Leiterin des Kindergartens, Pfarrvikar G. als Verwalter der Pfarrstelle in der Gemeinde und gegen den Dekanatssynodalvorstand. Die Betroffenen haben ihrerseits gegen den Antragsteller Stellung bezogen. Eltern von Kindergartenkindern haben sich ihnen angeschlossen. Drei Schlichtungsgespräche und sonstige Streitbeilegungsbemühungen, in die neben dem Dekanatssynodalvorstand auch die Kirchenverwaltung sowie die Kirchenleitung, das Leitende Geistliche Amt und der Kirchenpräsident eingeschaltet waren, brachten nicht den erhofften Erfolg.
Mit einer Mehrheit von sechs zu vier Stimmen hat der Kirchenvorstand den Dekanatssynodalvorstand gebeten, gegen den Antragsteller aufsichtsrechtlich tätig zu werden.
Der Dekanatssynodalvorstand hat, nachdem der Antragsteller nicht bereit war, vom Vorsitz im Kirchenvorstand freiwillig zurückzutreten, am 7.3.1984 beschlossen, dem Antragsteller das Amt als Kirchenvorsteher und als Vorsitzender des Kirchenvorstandes abzuerkennen.
Die Kirchenleitung hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers durch Beschluss vom 28.5.1984, dem Antragsteller mit Bescheid vom 29.5.1984 zugestellt, als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortige Vollziehung des Aberkennungsausspruchs wurde angeordnet.
Der Antragsteller, der gegen die Aberkennung seiner kirchlichen Ämter Anfechtungsklage erheben will, wendet sich vorab gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Er macht geltend, die sofortige Vollziehung läge nicht im kirchlichen Interesse. Sie würde in der Gemeinde als Vorwegverurteilung gewertet und wäre geeignet, die vorhandenen Spannungen innerhalb der Kirchengemeinde zu vergrößern.
Der Antragsteller beantragt,
die sofortige Vollziehung der Aberkennung seines Amtes als Kirchenvorsteher und als Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Evangelischen Gemeinde A-Süd auszusetzen.
Die Kirchenleitung beantragt,
den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung zurückzuweisen.
Sie wirft dem Antragsteller vor, den Unfrieden und die Konflikte in den gemeindlichen Verhältnissen durch kämpferisch-aggressives Verhalten verursacht zu haben und nicht sein Amt gemäß dem kirchlichen Verkündigungsauftrag versöhnend, integrierend und friedensstiftend auszuüben, so dass die angeordnete sofortige Vollziehung aus besonderem kirchlichen Interesse geboten sei.
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Gründe II:

II.
Das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht konnte über den nach § 20 Abs. 2 KVVG zulässigen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 38 KVVG i.V.m. § 101 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung).
Der Antrag ist, soweit er sich gegen die Aberkennung des Amtes als Kirchenvorsteher richtet, begründet, soweit er sich gegen den Entzug des Vorsitzes im Kirchenvorstand richtet, jedoch unbegründet.
Für die hier zu entscheidende Frage sind die Interessen des Antragstellers an der Wahrnehmung seiner kirchlichen Ämter gegenüber dem kirchlichen Interesse, in der Gemeinde möglichst bald konfliktsfreie oder zumindest konfliktsgeminderte Verhältnisse zu schaffen, abzuwägen.
Das Gericht hat nach dem ihm im Eilverfahren bekanntgewordenen Sachverhalt den - wenn auch nur vorläufigen, so doch gegenwärtig sicheren - Eindruck gewonnen, dass es einer Befriedung der gemeindlichen Verhältnisse in hohem Maße abträglich wäre, wenn der Antragsteller bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache den Vorsitz im Kirchenvorstand weiter führen könnte. Die Amtsführung des Antragstellers als Vorsitzender des Kirchenvorstandes war, ohne dass die Gründe im summarischen Verfahren nach § 20 Abs. 2 KVVG ausgelotet oder auch nur voll erfasst werden können, im Ergebnis in außergewöhnlichem Umfang konfliktsträchtig. Die Erfolglosigkeit der intensiven Schlichtungsbemühungen gibt wenig Hoffnung, dass der Antragsteller bei Fortführung seines Vorsitzendenamtes bis zur endgültig gerichtlichen Entscheidung das entstandene Konfliktspotential abbauen könnte. Das Gebot der Versöhnung und Friedensstiftung ist jedoch eine Hauptforderung des Evangeliums. Die persönlichen Interessen des Antragstellers an der Weiterführung seines Vorsitzendenamtes müssen für die Zwischenzeit bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung zurückstehen, wenn dies der Wiederherstellung einer gedeihlichen Zusammenarbeit im Kirchenvorstand und der Gemeinde dienen kann.
Was die Aberkennung des Kirchenvorsteheramtes anbetrifft, war demgegenüber den Interessen des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Vorrang einzuräumen. Solange im zu erwartenden Hauptverfahren eine Klärung der Konfliktsursachen nicht herbeigeführt ist, soll der Antragsteller an der Ausübung seiner Mitgliedschaft im Kirchenvorstand nicht gehindert werden. Die Ausübung des schlichten Kirchenvorsteheramtes birgt weit weniger Konfliktspotential als die Wahrnehmung des Vorsitzendenamtes. Wenn sich insoweit für die nahe Zukunft Unzuträglichkeiten ergeben sollten, könnte das Kirchengericht für eine neue Entscheidung im Rahmen des § 20 Abs. 2 KVVG notfalls nochmals angerufen werden.
Das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht hält es auch für zulässig, bei der Frage der Aussetzung der sofortigen Vollziehung zwischen dem Amt des Vorsitzenden des Kirchenvorstandes und dem Amt als Kirchenvorsteher in der geschehenen Weise zu differenzieren.
Zwar kann ein Vorsitzender eines Kirchenvorstandes nicht abgewählt oder abberufen werden. § 50 Abs. 1 KGO sieht nur die Aberkennung des Kirchenvorsteheramtes, nicht dagegen die Aberkennung des Vorsitzendenamtes vor. Das Amt des Vorsitzenden geht vielmehr nur als zwangsläufige Folge verloren, wenn das Amt als Kirchenvorsteher aberkannt worden ist. Es erscheint sehr zweifelhaft, ob man das Gesetz dahin auslegen könnte, dass das Amt des Vorsitzenden - isoliert - schon deshalb selbständig aberkannt werden kann, weil dies ein Weniger gegenüber der Aberkennung des Amtes als Kirchenvorsteher ist.
Diese Frage braucht aber im vorliegenden Verfahren nach § 20 Abs. 2 KVVG nicht abschließend entschieden zu werden. Auch wenn es nicht möglich ist, das Vorsitzendenamt isoliert - bei Belassung des Kirchenvorsteheramtes - abzuerkennen, besagt das nichts für das Verfahren nach § 20 Abs. 2 KVVG, in dem das Gericht die sofortige Vollziehung „ganz oder teilweise“ aussetzen kann. Die Möglichkeit der sofortigen Vollziehung und ihrer Aussetzung dient, ähnlich wie das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung, dazu, eine vorläufige Regelung zu treffen, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Das Gericht hat dabei nach seinem Ermessen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen und ist nicht in enger Weise an die Kategorien des materiellen Rechts und die sich daraus ergebende Rechtslage gebunden (vergl. hierzu Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl. 1981, § 80 RdNr. 55 mit weiteren Nachweisen).
Im vorliegenden Fall erschien es dem Gericht in Abwägung der beiderseitigen Interessen angemessen, für die Zwischenzeit bis zur endgültigen Entscheidung die sofortige Vollziehung auf die Entziehung des Amtes als Vorsitzender des Kirchenvorstandes zu beschränken. Damit wird für eine Übergangszeit der Zustand hergestellt, der bestünde, wenn der Antragsteller dem an ihn gerichteten Ansinnen, vom Amt des Vorsitzenden des Kirchenvorstandes zurückzutreten, freiwillig nachgekommen wäre.