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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Rechtsgutachten
Datum:22.10.1954
Aktenzeichen:KVVG II 1/54
Rechtsgrundlage:Art. 40,42 KO; §§ 2,3 KVG; §§ 2,3 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Antragsberechtigung, Kirchenleitung, Kirchenverwaltung, Verwaltungsakt
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Leitsatz:

Antrag der Kirchenleitung vom 20. März 1954 auf Erstattung eines Rechtsgutachtens über die Auslegung von § 3 des Kirchengesetzes betr. die Kirchenverwaltung vom 11. Mai 1949 (Mitwirkung der Sachbearbeiter der Kirchenverwaltung an Beratungen und Entscheidungen der Kirchenleitung)
1. Zum Verhältnis Kirchenleitung – Kirchenverwaltung
2. Ein Sachbearbeiter der Kirchenverwaltung ist nicht kirchliches Organ und daher nicht nach § 5 Abs. 2 KVVG antragsberechtigt.
3. Ein Sachbearbeiter der Kirchenverwaltung ist auch nicht als Einzelperson nach § 5 Abs. 1 KVVG antragsberechtigt, wenn nur seine Interessen als die eines Beamten der Kirchenverwaltung berührt sind.
4. Auch im Kirchenverwaltungsrecht gilt der Grundsatz, dass fehlerhaft zustande gekommene Verwaltungsentscheidungen nicht schlechthin nichtig, sondern nur anfechtbar sind.

Tenor:

Rechtsgutachten
Die Kirchenleitung hat gemäß § 3 Ziffer 1 des Kirchengesetzes über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht vom 14. Februar 1952 (KVVG) ein Gutachten; über die Auslegung des § 3 des Kirchengesetzes betr. die Kirchenverwaltung vom 11. Mai 1949 (Amtsblatt Seite 77) - im Folgenden Kirchenverwaltungsgesetz genannt beantragt.
§ 3 des Kirchenverwaltungsgesetzes hat folgenden Wortlaut:
"Die Sachbearbeiter der Kirchenverwaltung, die nicht der Kirchenleitung angehören, sind in den Angelegenheiten ihres Arbeitsbereiches zur Mitarbeit bei der Kirchenleitung heranzuziehen. Auf Beschluss der Kirchenleitung steht ihnen dabei Stimmrecht zu.“
Nach Auffassung der Kirchenleitung bestehen Zweifel über folgende Fragen:
1. Legt diese Bestimmung lediglich der Kirchenleitung die Pflicht auf, die Referenten der Kirchenverwaltung, die nicht zugleich der Kirchenleitung angehören, in den Angelegenheiten ihres Arbeitsbereiches zu den Sitzungen der Kirchenleitung heranzuziehen oder ist den beteiligten Referenten hierdurch ein unmittelbares Recht verliehen, zu verlangen, dass sie in Angelegenheiten ihres Arbeitsbereichs zu den Sitzungen der Kirchenleitung zugezogen werden?
2. Welche Rechtsbehelfe bestehen für den Referenten, wenn er sich durch die Praxis der Kirchenleitung beschwert fühlt, insbesondere wenn die Kirchenleitung es ablehnt, im Einzelfalle, in welchem der Referent sich mit einer Angelegenheit seines Arbeitsbereichs beteiligt glaubt, den Referenten zur Sitzung der Kirchenleitung zuzuziehen?
3. Ist der zu einer Sitzung der Kirchenleitung zugezogene Verwaltungsreferent hierdurch als Mitglied der Kirchenleitung zu betrachten und hat er die Verantwortung für ihren Beschluss mit zu tragen?
I
Die Entstehungsgeschichte der fraglichen Vorschrift gibt keine entscheidenden Anhaltspunkte für ihre Auslegung; immerhin ist bemerkenswert, dass die vom Verfassungsausschuss der Verfassunggebenden Synode vorgeschlagene Fassung von der jetzt geltenden in einem nicht unwesentlichen Punkt abweicht. Es heißt dort in § 4 des Entwurfs (Amtsblatt 1948 Seite 55): "Die Sachbearbeiter des Verwaltungsamtes sind von der Kirchenleitung; in zur Entscheidung stehenden Sachen ihres Arbeitsbereiches als stimmberechtigt zur Mitarbeit und Teilnahme an den Sitzungen heranzuziehen."
Es fällt dabei auf, dass nach dieser Fassung den hinzuzuziehenden Sachbearbeitern ohne weiteres Stimmrecht in der Kirchenleitung; zusteht, während heute nach dem Kirchenverwaltungsgesetz vom 11. Mai 1949 ein besonderer Beschluss der Kirchenleitung notwendig ist, um ihnen Stimmrecht zu gewähren. Es verrät sich hier eine Tendenz, die auch sonst die Beziehungen zwischen Kirchenleitung und Kirchenverwaltung beherrscht, die Tendenz nämlich, den Einfluss der "Verwaltung" zu beschränken.
Auszugehen ist bei der Beantwortung der Fragen der Kirchenleitung von der Bestimmung des Artikels 42 der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 17. März 1949 (Amtsblatt Seite 27), welche lautet: "Die Kirchenverwaltung ist ausführendes Organ der Kirchenleitung." Damit erscheint die Kirchenverwaltung gleichsam als das fachliche Büro der Kirchenleitung, die die wesentlichen Verwaltungsentscheidungen selbst trifft (§ 1 Absatz 3 Kirchenverwaltungsgesetz). Die Kirchenordnung und das Gesetz vom 11. Mai 1949 gehen also vom bestimmenden Einfluss der Kirchenleitung aus. Dem entspricht auch der zweite Satz des strittigen § 3 Kirchenverwaltungsgesetz, wonach den Sachbearbeitern der Kirchenverwaltung nur auf Beschluss der Kirchenleitung Stimmrecht zusteht. Diese Bestimmung findet ihre Parallele in Art. 40 Absatz 3 der Kirchenordnung, wonach den Mitgliedern des Leitenden Geistlichen Amtes, soweit sie nicht der Kirchenleitung angehören,
ebenfalls auf Beschluss der Kirchenleitung Stimmrecht zusteht. Während aber die Mitglieder des Leitenden Geistlichen Amtes, die nicht der Kirchenleitung angehören, nach Artikel. 40 Absatz 3 Kirchenordnung an den Sitzungen der Kirchenleitung (immer) mit beratender Stimme teilnehmen können, also ein Recht auf Teilnahme an den Sitzungen haben, sind nach § 3 Satz 1 Kirchenverwaltungsgesetz die Sachbearbeiter nur in den Angelegenheiten ihres Arbeitsbereiches "zur Mitarbeit bei der Kirchenleitung heranzuziehen“.
Daraus ergibt sich, dass zwar die Kirchenleitung gehalten ist, nach pflichtgemäßem Ermessen diese Sachbearbeiter heranzuziehen, dass jedoch den Sachbearbeitern kein subjektives öffentliches Recht auf diese Heranziehung zusteht. Die Stellung der Kirchenleitung in der Verfassung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zwingt zu dieser Auslegung, zumal häufig zweifelhaft sein kann, welche Angelegenheiten zum Sachgebiet des einzelnen Sachbearbeiters gehören. In dieser Hinsicht hat die Kirchenleitung sozusagen eine "Kompetenz-Kompetenz", da die Abgrenzung der einzelnen Referate gegeneinander nach § 1 Absatz 3 und § 5 des Kirchenverwaltungsgesetzes Sache der Kirchenleitung sein dürfte. Der Sachbearbeiter hat also im Gegensatz zu den Angehörigen des Leitenden Geistlichen Amtes kein unmittelbares Recht darauf, in den Angelegenheiten seines Arbeitsbereiches zu den Sitzungen der Kirchenleitung hinzugezogen zu werden. Die Stellung des Sachbearbeiters ist demnach ähnlich der eines Referenten im Ministerium, der auch kein subjektives Recht auf Teilnahme an den Sitzungen der Regierung hat.
II
Einen Rechtsbehelf im technischen Sinne hat der Referent nicht, wenn die Kirchenleitung es ablehnt, ihn im Einzelfall zu einer Sitzung der Kirchenleitung hinzuzuziehen. Insbesondere hat er kein Recht zur Beschwerde nach § 2 Ziffer 3 KVVG. Dies ergibt sich aus § 5 KVVG, wonach antragsberechtigt und parteifähig nur ....... kirchliche Körperschaften, kirchliche Organe, Werke und Verbände sind, deren rechtliche Interessen berührt werden. Hierzu gehört aber der Sachbearbeiter der Kirchenverwaltung nicht. Er ist nicht kirchliches Organ, sondern gehört nur einem kirchlichen Organ, nämlich der Kirchenverwaltung, an. Antragsberechtigt und damit beschwerdeberechtigt ist also der Sachbearbeiter nicht. Er kann auch nicht als eine nach § 5 KVVG antragsberechtigte "Einzelperson" angesehen werden. Nicht die Interessen des Sachbearbeiters als Einzelperson sind ja durch den von ihm vermuteten bestimmungswidrigen Ausschluss aus den Sitzungen der Kirchenleitung berührt, sondern seine Interessen als die eines Beamten der Kirchenverwaltung. Diese aber können nur von der Kirchenverwaltung als solcher im Beschwerdeweg durchgesetzt werden. Eine derartige Beschwerde wird jedoch kaum praktisch werden, da ja weitgehend Personalunion zwischen der Kirchenleitung und der Kirchenverwaltung besteht. So gehören der Kirchenpräsident, sein Stellvertreter, der juristische Leiter der Kirchenverwaltung sowie ein juristischer und ein theologischer Sachbearbeiter sowohl der Kirchenleitung wie der Kirchenverwaltung an (Artikel 40 Kirchenordnung und § 2 Kirchenverwaltungsgesetz).
In diesem Zusammenhang tritt die Frage auf, ob ein entgegen der Bestimmung des § 3 Satz 1 des Kirchenverwaltungsgesetzes zustande gekommener Verwaltungsakt der Kirchenleitung ungültig wäre, so dass seine Ungültigkeit von jedem Mitglied der Kirche, also auch dem übergangenen Sachbearbeiter geltend gemacht werden könnte. Dem ist jedoch nicht so. Auch im Kirchenverwaltungsrecht muss der in der staatlichen Verwaltung geltende Grundsatz angewandt werden, dass eine fehlerhaft zustande gekommene Verwaltungsentscheidung nicht schlechthin nichtig, sondern nur anfechtbar ist. Hoheitliche Verwaltungsakte haben zunächst die Vermutung ihrer Rechtswirksamkeit in sich (vgl. hierzu Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Band 4 Seite 22 und die dort angegebene Literatur). Nur dann, wenn ein Verwaltungsakt offenkundig völlig willkürlich erlassen ist, kann man davon sprechen, dass der Verwaltungsakt nichtig ist, dass er also von jedem als nicht vorhanden angesehen werden kann. Diese offenkundige Fehlerhaftigkeit liegt jedoch nicht vor, wenn bei dem Zustandekommen einer kirchlichen Verwaltungsentscheidung ein Sachbearbeiter der Kirchenverwaltung nicht zugezogen wird. Die Frage, inwieweit die von einer unter Nichtbeachtung des § 3 Satz 1 Kirchenverwaltungsgesetz erlassenen Entscheidung betroffene Einzelperson die Fehlerhaftigkeit vor dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht geltend machen könnte, braucht im Rahmen der Fragestellung der Kirchenleitung nicht beantwortet zu werden und bleibt daher offen.
Festzuhalten ist also der Grundsatz, dass der übergangene Referent kein Beschwerderecht nach dem KVVG hat. Ein solches Recht wäre auch ein völliges Novum auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts, da innerbehördliche Zuständigkeitszweifel von den beteiligten Sachbearbeitern nicht zum Gegenstand eines Verwaltungsrechtsstreites gemacht werden können. Es bleibt dem Sachbearbeiter im Falle einer Meinungsverschiedenheit mit der Kirchenleitung nur die Möglichkeit, Vorstellungen bei der Kirchenleitung zu erheben und im Notfalle sein Amt zur Verfügung zu stellen, ebenso wie es etwa bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Minister und einem Referenten der staatlichen Verwaltung der Fall wäre.
III
Die Mitglieder der Kirchenleitung sind in Artikel 40 Absatz 1 Kirchenordnung erschöpfend aufgezählt. Der gemäß § 3 Kirchenverwaltungsgesetz herangezogene Referent wird also nicht durch die Heranziehung Mitglied der Kirchenleitung. Verantwortlich bleibt auch bei Gewährung eines Stimmrechts nach § 3 Satz 2 Kirchenverwaltungsgesetz die Kirchenleitung in der durch Artikel 40 der Kirchenordnung bestimmten Zusammensetzung. Aus den unter II angeführten Gründen hat auch hier der Sachbearbeiter kein Beschwerderecht gegen eine etwaige Versagung des Stimmrechts nach § 3 Satz 2 Kirchenverwaltungsgesetz.
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