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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:20.04.2023
Aktenzeichen:KVVG II 3/23
Rechtsgrundlage:§§ 3, 20, 38 KVVG; § 123 VwGO; § 1 DSO; § 46 VwGG.EKD; §§ 79, 80 Abs. 2, 105 PfDG.EKD
Vorinstanzen:
Schlagworte:Aufschiebende Wirkung, Dekanat, Einstweilige Anordnung, Gemeindepfarrstelle, Stelleninhaber, Versetzung
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Leitsatz:

  1. Für den Erlass einstweiliger Anordnungen besteht auch im kirchlichen Bereich zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein Bedürfnis, weshalb das KVVG schon früh die Möglichkeit anerkannt hat, bei ihm eine einstweilige Anordnung zu beantragen.
  2. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit im früheren Dekanat oder auf einer früher innegehabten Gemeindepfarrstelle wird im Falle einer Versetzung nicht dadurch wesentlich erschwert oder vereitelt, dass während des schwebenden Rechtsmittelverfahrens eine Teilnahme an Dekanatskonferenzen oder anderen Sitzungen des alten Dekanats ausgeschlossen wird. Ebenso wenig ist es erforderlich, dem versetzten Pfarrer die der Pfarrerschaft dieses Dekanats zugehende Dienstpost einschließlich Einladungen oder Sitzungsprotokollen in dieser Zeit zugänglich zu machen.
  3. Als Spezialvorschrift zu der Grundregel des § 20 Abs. 1 KVVG schließt § 105 Abs. 3 Nr. 4 PfDG.EKD die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen eine Versetzungsentscheidung nach § 79 PfDG.EKD aus. Der versetzte Pfarrer ist deshalb während des Rechtsmittelverfahrens nicht so zu behandeln als wäre er noch Stelleninhaber.
  4. Dass die bisherige Stelle der versetzten Person erst endgültig wieder besetzt werden darf, wenn die Versetzung bestandskräftig geworden ist, soll nur verhindern, dass es nach einem erfolgreichen Rechtsmittel plötzlich zwei Stelleninhaber auf demselben Dienstposten geben kann.

Tenor:

  1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
  2. Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites hat der Antragsteller zu tragen.
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Entscheidungsgründe:

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin, mit der diese verpflichtet werden soll,
  1. den Antragsteller ab sofort wieder zu sämtlichen dienstlichen Veranstaltungen des Ev. Dekanates D einzuladen, solange die durch die „Beklagte“ ausgesprochene Versetzung noch nicht rechtskräftig ist,
  2. im Sinne der Informationsgleichheit dem Antragsteller alle seit 18.06.2019 an die Pfarrerschaft des Dekanates D ergangenen Einladungen, Sitzungsprotokolle, Dienstpost aus der Kirchenverwaltung sowie alle weiteren dienstlichen Dokumente (Postbriefe, Mails, Faxe) unaufgefordert und unverzüglich zuzustellen.
Über diesen Eilantrag entscheidet allein die Vorsitzende als Berichterstatterin anstelle der Kammer, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§§ 38 KVVG, 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
Der Eilantrag ist als solcher nach §§ 38 KVVG, 123 VwGO statthaft. Denn auch wenn das Gericht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KVVG grundsätzlich nur über die Anfechtung eines kirchlichen Verwaltungsaktes oder die Verpflichtung zum Erlass eines solchen unterbliebenen oder abgelehnten Verwaltungsaktes entscheidet, so erlaubt § 38 KVVG den Rückgriff auf die im staatlichen Bereich geltende VwGO, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Für den Erlass einstweiliger Anordnungen entsprechend § 123 VwGO besteht auch im kirchlichen Bereich zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein Bedürfnis, wie sich schon der dem § 123 VwGO entsprechenden Vorschrift des § 46 VwGG.EKD entnehmen lässt. Dementsprechend hat das KVVG auch schon früh die Möglichkeit anerkannt, bei ihm eine einstweilige Anordnung zu beantragen (Beschluss der 2. Kammer vom 14. April 1986 – II 6/86 -, Amtl. Sammlung Nr. 61).
Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung richtet sich allerdings teilweise gegen den unzutreffenden Antragsgegner, so dass sie bereits aus diesem Grund unzulässig ist. Jedenfalls der unter Nr. 1 gestellte Antrag auf Einladung zu sämtlichen dienstlichen Veranstaltungen des Dekanates D kann von der Antragsgegnerin (EKHN) gar nicht erfüllt werden. Vielmehr verfügt das Dekanat D über eine eigene Rechtspersönlichkeit (§ 1 Abs. 3 DSO), und zuständig für die Einladung der Pfarrerschaft zu den Sitzungen und Dekanatskonferenzen ist der Dekan (Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 KO). Insoweit müsste der Eilantrag also gegen das Dekanat gerichtet sein, während der Antragsteller ausschließlich die EKHN als Antragsgegnerin benannt hat. Auch eine entsprechende Umdeutung von Amts wegen (vgl. § 24 Abs. 4 KVVG) kommt nicht in Betracht, da der anwaltlich vertretene Antragsteller ausdrücklich von der Antragsgegnerseite auf die fehlende Passivlegitimation hingewiesen worden ist, seinen Antrag aber nicht abgeändert hat (vgl. § 29 KVVG). Dasselbe gilt für Teile des Antrages zu 2., soweit es sich um Protokolle und Unterlagen aus dem Dekanat handelt. Allenfalls für die Dienstpost der Kirchenverwaltung mag die Antragsgegnerin ihrerseits passiv legitimiert sein.
Jenseits der fehlenden Passivlegitimation kann der Antrag ohnehin insgesamt keinen Erfolg haben, weil weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind (§§ 38 KVVG, 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).
Bezüglich des Anordnungsgrundes bezieht sich der Antragsteller auf die von ihm beklagte „Viktimisierung“ und den sich perpetuierenden Ausschluss aus seinem bisherigen Kollegenkreis, der eine Wiederaufnahme der Tätigkeit im Dekanat D und in seiner alten Gemeindepfarrstelle wesentlich erschweren bis vereiteln würde (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Diese Darstellung, dass eine eventuelle Rückkehr auf die alte Pfarrstelle davon abhänge oder jedenfalls beeinflusst werde, dass der Antragsteller zwischenzeitlich an Dekanatskonferenzen oder anderen Sitzungen teilnehmen kann, trifft jedoch schon vom Ansatz her nicht zu. Denn sollte es tatsächlich dazu kommen, dass der Antragsteller seine frühere Pfarrstelle erneut wahrnimmt, so können ihm immer noch alle notwendigen Informationen übermittelt und er in etwaige Projekte oder Absprachen eingebunden werden. Eine kontinuierliche Teilnahme an aktuellen Dekanatssitzungen ist dazu nicht erforderlich bzw. die mangelnde Teilnahme macht es nicht schwerer oder gar unmöglich, die alte Pfarrstelle wieder zu übernehmen. Denn sonst wäre auch die Neubesetzung einer Stelle beim freiwilligen Ausscheiden des bisherigen Stelleninhabers immer mit diesen Schwierigkeiten behaftet. Die aus Sicht des Antragstellers mit dem Fernbleiben verbundene verstärkte „Viktimisierung“ wiederum ist keine objektive juristische Kategorie, die als Erschwerung einer etwaigen Rückkehr den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnte. Vielmehr beruht dies auf einer subjektiven Wahrnehmung des Antragstellers, an die sich jedoch keine konkreten rechtlichen Folgen knüpfen lassen. Insbesondere gibt es keinerlei belastbaren Hinweise darauf, dass der Antragsteller gerade deshalb innerhalb seines früheren Kollegenkreises als Mobbingopfer wahrgenommen oder behandelt würde, weil er an den Dekanatskonferenzen nicht mehr teilnimmt.
Schließlich fehlt es für die beantragten einstweiligen Anordnungen zu 1. und 2. an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller kann auch materiell nicht verlangen, hinsichtlich der Teilnahme an den Dekanatskonferenzen und beim Zugang zu dekanatsinternen Unterlagen und Informationen so gestellt zu werden, als nehme er die Pfarrstelle in E noch wahr. Denn anders als der Antragsteller meint, wäre dies allenfalls der Fall, wenn seine gegen den Versetzungsbescheid vom 18.06.2019 erhobene Klage (II 10/19) aufschiebende Wirkung entfalten würde. Damit wäre er – ungeachtet der in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur vertretenen Theorien zur Vollziehbarkeits- oder Wirksamkeitshemmung bei der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels (vgl. zum Meinungsstreit und seinen Auswirkungen Kopp, Kommentar zur VwGO, 28. Auflage 2022, Rdnr. 22 ff zu § 80) – jedenfalls im Ergebnis so zu stellen als wäre er noch Stelleninhaber und dürfte wohl an entsprechenden Sitzungen teilnehmen. Als Spezialvorschrift zu der Grundregel des § 20 Abs. 1 KVVG schließt § 105 Abs. 3 Nr. 4 PfDG.EKD jedoch diese aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels bei Versetzungen nach § 79 PfDG.EKD gerade aus, und zu den aufgezählten Versetzungen nach § 79 PfDG.EKD gehört die Versetzung wegen einer nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes (§ 79 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 80 Abs. 1 und 2 PfDG.EKD), die beim Antragsteller verfügt worden ist. Dabei impliziert bereits der Begriff „Versetzung“, dass der Pfarrer die bisherige Stelle verliert (so auch die Legaldefinition in § 79 Abs. 1 PfDG.EKD), und aus § 105 Abs. 3 Satz 2 PfDG.EKD ergibt sich nichts Anderes. Dort wird zwar festgelegt, dass die durch einen Versetzungsbescheid freigewordene Stelle erst dann einem anderen Pfarrer oder einer anderen Pfarrerin übertragen werden darf, wenn die Maßnahme bestandskräftig geworden ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die versetzte Person so lange noch die bisherige Stelle innehat und wahrnimmt, sondern die Regelung soll lediglich verhindern, dass bei einer eventuellen Aufhebung der Versetzungsentscheidung vor Bestandskraft plötzlich zwei Stelleninhaber vorhanden sind, die nicht beide denselben Dienstposten innehaben können. Deshalb darf die Stelle während des laufenden Rechtsmittelverfahrens noch nicht endgültig neu besetzt werden. Die Position des alten Stelleninhabers wird dadurch insoweit geschützt, dass die Stelle bei einem Obsiegen im Rechtsmittel noch zur Verfügung steht, nicht aber dergestalt, dass er während des Rechtsmittelverfahrens noch wie ein Stelleninhaber zu behandeln ist. Dem steht der ausdrückliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels in § 105 Abs. 3 Nr. 4 PfDG.EKD entgegen.
Ebenso wenig lässt sich aus § 80 Abs. 2 Satz 3 PfDG.EKD das vom Antragsteller gewünschte Ergebnis herleiten. Wenn dort festgelegt ist, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin regelmäßig (schon) für die Dauer der Erhebungen den Dienst in der ihnen übertragenen Stelle nicht (mehr) wahrnimmt, so ist damit eine ergänzende Regelung für den Zeitraum der Erhebungen getroffen, in dem ansonsten die ursprünglichen Aufgaben weiterhin bestehen blieben. Diese Fortführung könnte sich allerdings sowohl für den Pfarrer als auch für die Kirchengemeinde als belastend und für die Erhebungen als erschwerend darstellen, so dass schon im Vorfeld der Versetzungsentscheidung eine Übertragung anderer Aufgaben möglich sein soll. Mit der Entscheidung über die Versetzung endet der „Zeitraum der Erhebungen“ und es gilt § 105 Abs. 3 Nr. 4 PfDG.EKD mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels.
Der Antragsteller kann also bei keiner Betrachtungsweise verlangen, noch wie ein Stelleninhaber an den Dekanatssitzungen von D teilzunehmen. Erst recht hat er damit keinen Anspruch auf den in der Vergangenheit seit der Versetzung entstandenen Schriftverkehr und die einschlägigen dekanatsinternen Dokumente.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 36 und 38 KVVG, 154 Abs. 1 VwGO.