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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:22.07.1998
Aktenzeichen:KVVG I 3-17/98
Rechtsgrundlage:§§ 1,3,4 EG; § 1 KandO;§§ 1+8 ÜbVO; §§ 3,36,38 KVVG; § 3 AufnahmeVO; § 2 AuswahlVO; § 154 VwGO; § 13 GKG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Anstellungsfähigkeit, Auswahlverfahren, Einstellungsstopp, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Grundsatz des Vertrauensschutzes, Pfarramtskandidaten, Pfarrdienst auf Probe, Pfarrvikar, Rechtstaatsprinzip, Streitwert, Vorbereitungsdienst, Wartezeit, Übernahmeverfahren
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Leitsatz:

1. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gilt auch für den innerkirchlichen Bereich.
2. Ein Kirchengericht, das auch die Kompetenz hat, über die Rechtsgültigkeit von Kirchengesetzen zu entscheiden, kann, wenn es zu der Auffassung gelangt, daß in einem Gesetz eine Übergangsregelung bestimmten Inhalts fehlt, auf eine Verpflichtungsklage hin anordnen, daß die betroffenen Kläger so zu stellen sind, als wäre die Übergangsregelung vorhanden.

Tenor:

Die Bescheide der Kirchenverwaltung vom 21.11.1997 und die im Ergebnis gleichlautenden Folgebescheide, zuletzt zusammengefasst in den Beschwerdeentscheidungen der Kirchenleitung vom 2. und 3. April 1998 werden aufgehoben.
Die Beklagte ist verpflichtet,
die Kläger und Klägerinnen nach dem Erprobungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.05.1995 und der Übernahmeverordnung vom 14.12.1993 in den Pfarrdienst auf Probe zu übernehmen, sofern ihnen die Anstellungsfähigkeit zuzuerkennen ist.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Der Streitwert für die verbundenen Verfahren wird auf 1,5 Millionen DM (15 x 100.000,-- DM) festgesetzt.
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Tatbestand:

Die Kläger und Klägerinnen erstreben ihre Übernahme als Pfarrvikar/Pfarrvikarin in ein Dienstverhältnis auf Probe gemäß den Bestimmungen des Erprobungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.05.1995 und der Übernahmeverordnung vom 14.12.1993.
I.
Das Kirchengesetz zur Erprobung neuer dienstrechtlicher Regelungen für Pfarrer (Erprobungsgesetz, im folgenden abgekürzt „EG“) wurde angesichts der gestiegenen Zahl junger examinierter Theologen am 15.03.1985 erlassen. Nach seinem § 1 sollte es dem Ziel dienen, „in den nächsten Jahren eine zunehmende Zahl von anstellungsfähigen Theologen im kirchlichen Dienst beschäftigen zu können“. Es bezog sich sowohl auf die Aufnahme nach der Ersten Theologischen Prüfung in den praktischen Vorbereitungsdienst, der seinen Schwerpunkt in den Theologischen Seminaren in R-Stadt und S-Stadt hatte – dort wurden jährlich insgesamt 100 Vikare ausgebildet – als auch auf die Übernahme als Pfarrvikar nach der Zweiten Theologischen Prüfung in ein Dienstverhältnis auf Probe.
Das Gesetz war bis zum 31.12.1992 befristet und sah in § 4 vor:
Abs. 1 Die Zahl der Bewerber, die als Pfarrvikar in ein Dienstverhältnis auf Probe übernommen werden können, richtet sich nach der Zahl der freien Pfarr- und Pfarrvikarstellen, deren Finanzierung gesichert ist. ....
Abs. 2 Übersteigt die Zahl der Bewerber die festgesetzte Zahl der besetzbaren Stellen, wird die Übernahme durch ein besonderes Verfahren .... geregelt.
Obwohl das EG in § 3 Abs. 3 ebenso wie § 1 Abs. 4 der Kandidatenordnung vom 24.06.1974 bestimmte, dass kein Rechtsanspruch auf Übernahme in den Pfarrdienst bestand, wurden bis auf ganz wenige Ausnahmen, in denen die Anstellungsfähigkeit nicht zuerkannt wurde – alle Vikare und Vikarinnen nach Beendigung ihres Vorbereitungsdienstes, wenn auch nach Wartezeiten, in den Pfarrdienst auf Probe übernommen.
Das EG, zu dem auch eine Übernahmeverordnung erging, wurde im Juni 1991 bis zum 31.12.1995 verlängert.
Die Übernahme aller Vikare und Vikarinnen führte jedoch angesichts der begrenzten Zahl zu besetzender Stellen zu Schwierigkeiten. Um diesen zu begegnen, wurde das EG am 24.04.1993 novelliert und gleichzeitig bis zum 31.12.1996 verlängert.
Die Novellierung in Verbindung mit der neuen Rechtsverordnung zur Übernahme als Pfarrvikar oder Pfarrvikarin vom 14.12.1993 (Übernahmeverordnung – ÜbVO) führte das „Drittelmodell“ ein. Danach wurden „nach der Zahl der jeweiligen Bewerber“ ein Drittel volle Einstellungsplätze, ein Drittel volle Einstellungsplätze mit einer Wartezeit von zwei Jahren nach dem Ende der Ausbildung und ein Drittel halbe Einstellungsplätze zugeteilt (§ 8 Abs. 1 ÜbVO). In diesem Zusammenhang wurden die Ausbildungsplätze im Vorbereitungsdienst auf 48 Plätze beschränkt. Dies bedeutete, dass zwischen der Ersten Theologischen Prüfung und der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst eine Wartezeit entstand, die nach § 3 Abs. 2 der Aufnahmeverordnung vom 14.06.1994 mindestens ein halbes und höchstens fünf Jahre betragen konnte.
Durch diese Neuregelung sollte erreicht werden, dass weiterhin alle Vikare und Vikarinnen in den Pfarrdienst übernommen werden könnten.
Der Personalreferent Oberkirchenrat R. erklärte hierzu auf der 4. Tagung der Achten Synode, die vom 29.11. bis 03.12.1993 stattfand:
„Das heißt, dass jeder, der derzeit Lehrvikarin oder Lehrvikar ist oder jetzt in die Ausbildung noch hineinkommt und die Anstellungsfähigkeit erlangt, dann auf diese Weise eingestellt wird.“
In gleichem Sinn erklärte der Kirchenpräsident S. auf dieser Synode:
„jeder, der hineinkommt, wird übernommen“,
(Verhandlungen der Kirchensynode, 4. Tagung, Achte Synode, Seiten 56 und 130).
Im Frühjahr 1995 sah sich die Kirchenleitung/Kirchenverwaltung wegen der erreichten großen Pfarrerdichte in der EKHN, der knapper werdenden Kirchensteuereinnahmen („Ressourcenproblem“) und zahlreicher Inhaber halber Stellen, die auf volle Stellen drängten, vor eine neue Situation gestellt. Sie brachte deshalb nach vorausgegangener Erörterung mit dem Rat der Vikarinnen und Vikare auf der Dezember-Synode 1995 (10. Tagung der Achten Synode) den Entwurf einer Änderung des EG ein, der vorsah, dass nicht mehr alle Vikare und Vikarinnen übernommen werden sollten. Oberkirchenrat R. erklärte hierzu vor der Synode, im Pfarrdienst müssten anteilig 15 Millionen DM an laufenden Jahreskosten eingespart werden. Die Gesamtzahl der Pfarrerinnen und Pfarrer müsse in den nächsten Jahren deutlich verringert werden. Es ginge dabei nicht nur um ein finanzielles Problem, sondern auch um die Anpassung an die Gesamtentwicklung der Mitgliedschaft unserer Kirche. Dies ginge in wirksamer Weise nur so, dass für einige Jahre die Zahl der Neueinstellungen begrenzt werde. Oberkirchenrat T. erläuterte die geplante Änderung ergänzend dahin, dass die Zahl der möglichen Einstellungen im Jahr sich nicht mehr allein nach der Zahl der freien und finanzierbaren Stellen richten, sondern von der Kirchenleitung festgestellt werden sollte, weil sie auch den Gesamtpersonalbestand der Personen im Pfarrdienst berücksichtigen müsse (Verhandlungen der Kirchensynode, 10. Tagung, Achte Synode, S. 200, 201, 204). Die Änderung des EG sollte am 01.08.1996 in Kraft treten, und das EG sollte nach dem Entwurf bis 31.12.2000 verlängert werden.
Auf der 12. Tagung der Achten Kirchensynode im Juni 1996 wurde die beabsichtigte Änderung in der 2. Lesung sehr kontrovers diskutiert. Der Theologische Ausschuss und der Ausschuss für Arbeit und Soziales waren mit dem Gesetzesentwurf nicht einverstanden. Daraufhin kam es zu einem „Kompromiss“: Das Erprobungsgesetz wurde unverändert bis zum 31.12.1997 verlängert. Die Zeit bis dahin sollte genutzt werden, eine Neuregelung des Einstellungsverfahrens herbeizuführen.
Auf der Synode im April 1997 (14. Tagung der Achten Synode) brachte die Kirchenleitung den Entwurf eines Kirchengesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Regelungen (Dienstrechtsänderungsgesetz – DÄndG) ein. Dieses Gesetz sollte nach dem Ablauf der Geltungsfrist des Erprobungsgesetzes (31.12.1997) Regelungen des EG, die sich bewährt hatten, in dauerhaft geltendes Recht überführen. Die Übernahme als Pfarrvikar in ein Dienstverhältnis auf Probe sollte auf der Basis, dass nicht mehr alle Vikare und Vikarinnen übernommen werden, in das Pfarrergesetz aufgenommen werden. Es sollte jeweils ein durch Rechtsverordnung auszugestaltendes Auswahlverfahren stattfinden.
Auf der Synode im Dezember 1997 (16. Tagung der Achten Kirchensynode) wurde der Entwurf des Dienstrechtsänderungsgesetzes mit der Bestimmung, dass es am 01.01.1998 in Kraft tritt, am 05.12.1997 verabschiedet. Ein Antrag der Dekanatssynode A., der das Ziel verfolgte, für den Vikarskurs I/96 eine Übergangsvorschrift (Übernahme der Vikare dieses Kurses nach altem Recht, d. h. Übernahme aller) zu beschließen, hatte keinen Erfolg. Das DÄndG wurde im Amtsblatt vom 01.02.1998 veröffentlicht.
Die Rechtsverordnung zur Regelung des Auswahlverfahrens vom 28.04.1998 (Auswahlverordnung) bestimmt in § 2, dass die Kirchenleitung jährlich die Zahl der Einstellungsplätze für Pfarrvikare und Pfarrvikarinnen festlegt. Die Festlegung für das Haushaltsjahr 1998 wurde im Amtsblatt vom 01.06.1998 bekanntgemacht. Es heißt dort (S. 178), dass „maximal 5 Pfarramtskandidatinnen/Pfarramtskandidaten in ein Dienstverhältnis auf Probe als Pfarrvikar/in der EKHN übernommen werden“. Die Bewerbungsfrist für die Teilnahme am Auswahlverfahren wurde bis zum 31.07.1998 bemessen.
II.
Die Kläger und Klägerinnen legten zwischen 1990 und dem ersten Halbjahr 1995, überwiegend im Jahre 1994, die Erste Theologische Prüfung ab. Zur Überbrückung der Wartezeit bis zur Aufnahme in den Vorbereitungsdienst nahmen sie Tätigkeiten, meistens im sozialen oder kirchlichen Bereich auf oder bildeten sich fort. Einige ließen sich auch von der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst zunächst zurückstellen, weil sie ihre aufgenommene Beschäftigung nicht unzeitgemäß abbrechen wollten.
Bis auf den Kläger A., der am 01.05.1995 ein Gastvikariat in der Kirche in A. begann, wurden die Kläger und Klägerinnen am 22. Januar 1996 in den praktischen Vorbereitungsdienst aufgenommen und dem Kurs 1/96, der am Theologischen Seminar in R-Stadt stattfand, zugeordnet.
Alle Teilnehmer des Kurses 1/96 erhielten zu Beginn vom Referat Personalförderung der Beklagten einen Terminplan, der das Datum vom 28.11.1995 trug. Er sah u. a. vor, dass die mündliche Prüfung des Zweiten Theologischen Examens zwischen dem 27. und dem 29.10.1997 stattfinden sollte, und nannte als Bewerbungstermin für die Übernahme als Pfarrvikar den 15.11.1997. Das Gespräch mit der Übernahmekommission war für die Zeit 13. bis 16.01.1998 vorgesehen, das Spezialpraktikum und damit der Vorbereitungsdienst sollte am 31.05.1998 enden.
Im März 1996 veranstaltete der Rat der Vikarinnen und Vikare einen Vikariatstag, auf dem die von der Beklagten beabsichtigte Reduzierung der Einstellungsplätze erörtert wurde.
Mit einem Informationsschreiben vom 16.05.1997 teilte die Kirchenverwaltung den Vikaren und Vikarinnen des Kurses 1/96 mit, dass die Kirchenleitung ab 1998 die gesetzliche Neuregelung des Einstellungsverfahrens plane. Der dazu erforderliche Beschluss der Kirchensynode werde voraussichtlich erst auf der Synodaltagung im Dezember 1997 getroffen. Die Termine für die Bewerbung und für das Verfahren zur Einstellung in den Pfarrdienst lägen daher noch nicht fest.
Die Kläger und Klägerinnen legten im Oktober 1997 die Zweite Theologische Prüfung ab. Sie bewarben sich darauf zum 15. November 1997 – dem im Terminplan genannten Datum – um die Übernahme in ein Dienstverhältnis auf Probe.
Die Kirchenverwaltung nahm jedoch die Bewerbungen zu diesem Zeitpunkt nicht an und schickte die Bewerbungsunterlagen zurück. In der in ihren Bescheiden vom 21. November 1997 hierfür gegebenen Begründung führte sie aus, dass das Erprobungsgesetz zum 31. Dezember 1997 auslaufe und die Synode sich im Dezember mit der Neufassung dienstrechtlicher Regelungen, auf deren Grundlage zukünftige Einstellungsverfahren durchgeführt werden sollten, befassen werde. In der gegenwärtigen Situation sei die Kirchenleitung/Kirchenverwaltung gezwungen, die Entscheidung der Synode hinsichtlich des erwarteten Dienstrechtsänderungsgesetzes abzuwarten.
Die Kläger und Klägerinnen gaben sich jedoch damit nicht zufrieden. Ihre verschie-denen, auch anwaltlich vorgetragenen Gegenvorstellungen wurden von der Kirchenverwaltung jeweils abgelehnt. Schließlich erließ die Kirchenleitung am 02. und 03.04.1998 endgültige, mit Rechtsmittelbelehrungen versehene ablehnende Beschwerdeentscheidungen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Die Kirchenleitung berief sich auf die durch das Auslaufen des Erprobungsgesetzes und den Wegfall der Übernahmeverordnung veränderte Rechtslage, die nunmehr in dem am 01.01.1998 in Kraft getretenen Dienstrechtsänderungsgesetz ihren Ausdruck finde. Ein Anspruch, das Übernahmeverfahren mit einem Bewerbungstermin zum 15.11.1997 einzuleiten, das erst in der Zeit vom 13. bis 16. Januar 1998 zu dem Übernahmetermin vor der Übernahmekommission geführt hätte, sei nicht ersichtlich. Ein Anspruch, bekanntermaßen auslaufende gesetzliche Regelungen auch dann noch bis zum letzten Tag ihrer Geltung anzuwenden, wenn die begehrte Rechtsfolge außerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs der auslaufenden gesetzlichen Regelung liegen würde, bestehe nicht. Dies gelte umso mehr, als die Synode die Aufnahme von Übergangsregelungen für die Vikare und Vikarinnen des Kurses 1/96 ausdrücklich abgelehnt habe.
Gegen diese Beschwerdeentscheidungen haben die Kläger und Klägerinnen am 14.04.1998 Klage erhoben. Sie sehen ihre Chance, in den Pfarrdienst übernommen zu werden, durch die Neuregelung der Übernahme stark vermindert und sind der Ansicht, dass sie noch nach der alten Regelung, bei der alle anstellungsfähigen Vikare und Vikarinnen in ein Dienstverhältnis auf Probe gelangen konnten, behandelt werden müssten. Die Weigerung der Beklagten, auf die zum 15. November 1997 erfolgten Bewerbungen das Übernahmeverfahren nach dem Erprobungsgesetz und der dazu erlassenen Übernahmeverordnung einzuleiten, halten sie für rechtswidrig. Sie nehmen für sich Vertrauensschutz in Anspruch, weil sie in der sicheren Erwartung, in den Pfarrdienst übernommen zu werden, die Wartezeiten zwischen dem ersten Examen und dem Beginn des Vorbereitungsdienstes auf sich genommen hätten und sich auf die Erklärungen der Kirchenverwaltung und auch des Kirchenpräsidenten („jeder, der hineinkommt, wird übernommen“) sowie auf die Zielsetzung des Erprobungsgesetzes und seiner wiederholten Verlängerungen hätten verlassen können. Sie meinen, auch aufgrund verwaltungsrechtlicher Zusagen ihre Übernahme nach dem alten Recht verlangen zu können.
Zur Bekräftigung ihres Standpunktes haben sie ein Rechtsgutachten des Universitätsprofessors U. und seines wissenschaftlichen Mitarbeiters V. vorgelegt. In ihm werden die Ansprüche der Kläger und Klägerinnen unter Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mit den Argumenten „Vertrauensschutz i. V. m. dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, gesetzgeberische Zusicherungen, konzeptionelle Selbstbindung, Unverbrüchlichkeit gesetzlicher Konzeptionen, Systemgerechtigkeit, verwaltungsrechtliche Zusagen und Übergangsgerechtigkeit, die Übergangsregelungen erfordere“, im einzelnen näher begründet.
Die Kläger und Klägerinnen beantragen sinngemäß,
wie in der Urteilsformel erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie sieht angesichts der veränderten Rechtslage keine Möglichkeit, die Kläger und Klägerinnen nach der außer Kraft getretenen alten Regelung in den Pfarrdienst zu übernehmen. Dem Hauptargument der Klägerseite, der Berufung auf Vertrauensschutz, tritt sie mit dem Hinweis entgegen, dass das Erprobungsgesetz, wie schon sein Name besage, keinen endgültigen Rechtszustand bewirken sollte, sondern von Anfang an in seiner Geltungsdauer befristet gewesen sei. Hieran hätten auch die wiederholten Verlängerungen des Gesetzes nichts geändert. Zur Unterstützung ihrer Auffassung weist die Beklagte auf eine von W. verfasste Stellungnahme des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland zu dem Gutachten des U. hin. Darin wird ausgeführt, dass ein Vertrauen, das über die Geltungsdauer eines Erprobungsgesetzes hinausgehe, im Widerspruch zum Gesetz selbst stehe. Bei den Verlängerungen des Erprobungsgesetzes sei für den Zeitraum der jeweiligen Verlängerung Vertrauen in eine nicht vorfristige Beendigung der Erprobung berechtigt gewesen, ein Vertrauen in eine nochmalige Verlängerung des Erprobungszeitraumes habe jedoch keine Grundlage. Eine vertrauenswürdige Rechtsposition auf Übernahme in den pfarramtlichen Dienst habe nie bestanden.
Darüber hinaus macht die Beklagte geltend, dass die Übernahme des Vikarskurses 1/96 und etwa noch weiterer Vikarskurse, die noch während der Geltung des Erprobungsgesetzes begannen, für spätere Vikarsjahrgänge angesichts der Notwendigkeit, die Gesamtzahl der Pfarrstellen in der EKHN zu vermindern, zu einem totalen Einstellungsstopp führen müsste.
Eine Übergangsregelung sieht die Beklagte im Ergebnis in der im Juni 1996 getroffenen Entscheidung der Synode, die Geltungsdauer des auf den 31.12.1996 befristeten Erprobungsgesetzes noch um ein Jahr zu verlängern, was dem Vikarskurs 2/95 zugute gekommen sei. Eine weitere Übergangsregelung, insbesondere eine zugunsten des Kurses 1/96, habe die Synode – s. die Ablehnung des Antrags des Dekanats A. – nicht gewollt.
Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den diesen beigefügten Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:

Die fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und als Verpflichtungsklage (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KVVG) begründet.
Die Beklagte hat das Begehren der Kläger und Klägerinnen, das Übernahmeverfahren durchzuführen und sie aufgrund dieses Verfahrens in den Pfarrdienst zu übernehmen, mit ihren Bescheiden vom 21.11.1997, den Folgebescheiden und den Beschwerdeentscheidungen vom 02.04.1998 und 03.04.1998 abgelehnt. Sie hat die erfolgten Bewerbungen als zur Zeit unstatthaft behandelt und die Bewerbungsunterlagen zurückgeschickt. Der Kläger und die Klägerin können jedoch verlangen, dass sie nach den Vorschriften des Erprobungsgesetzes und der hierzu erlassenen Übernahmeverordnung übernommen werden, auch wenn diese Gesetzesbestimmungen mit Ablauf des 31.12.1997 außer Kraft getreten sind.
Die Kläger und Klägerinnen können in einem begrenzten Umfang Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen. Als sie nach ihrer Ersten Theologischen Prüfung die Wartezeit bis zum Beginn des Vorbereitungsdienstes auf sich nahmen, durften sie aufgrund der Intention des Erprobungsgesetzes, der dazu von Seiten der Kirchenleitung und Kirchenverwaltung abgegebenen Erklärungen und der praktischen Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen vertrauensvoll die Erwartung hegen, nach Ablegung der Zweiten Theologischen Prüfung in den Pfarrdienst übernommen zu werden.
Zwar hieß es im Erprobungsgesetz und in der Kandidatenordnung, dass kein Rechtsanspruch auf Übernahme bestehe. Dessenungeachtet hat die Beklagte ausnahmslos alle anstellungsfähigen Vikare und Vikarinnen in ein Dienstverhältnis auf Probe übernommen, und diese Praxis fand auch in § 8 Abs. 1 der Übernahmeverordnung ihren Ausdruck.
Die befristete Geltungsdauer des Erprobungsgesetzes stellte allerdings einen Unsicherheitsfaktor dar. Aus der wiederholten Verlängerung des Gesetzes konnte man nicht die Gewissheit herleiten, dass es auch in Zukunft zu weiteren Verlängerungen des ungeänderten Gesetzes kommen werde. Andererseits hat aber auch die Beklagte nichts getan, was den Vikaren und Vikarinnen deutlich ins Bewusstsein hätte rücken können, dass in der Zukunft auf eine Übernahme aller Vikare und Vikarinnen kein Verlass sei. Der Terminplan, den die Teilnehmer des Kurses 1/96 zu Beginn ihres Vorbereitungsdienstes erhielten, hätte durchaus einen entsprechenden Hinweis enthalten können, denn im Januar 1996 war bereits die erste Lesung des Entwurfs einer Änderung des Erprobungsgesetzes erfolgt, und es war bei der Einbringung des Änderungsgesetzes von den Oberkirchenräten R. und T. vor der Synode erklärt worden, es könnten nicht mehr alle Bewerber und Bewerberinnen übernommen werden. Zwar kann nicht angenommen werden, dass die Kläger und Klägerinnen bei Beginn ihres Vorbereitungsdienstes gegenüber der geplanten Änderung der Übernahmepraxis ahnungslos gewesen seien. Der Änderungsentwurf war mit dem Rat der Vikarinnen und Vikare erörtert worden, und der Rat veranstaltete im März 1996 einen Vikariatstag zu diesem Thema. Dennoch hätte die Beklagte durch das Referat Personalförderung, das in Kontakt zu den Vikarskursen stand, jeden einzelnen Kursteilnehmer frühzeitig darauf aufmerksam machen sollen, dass zukünftig mit der Übernahme aller Vikare und Vikarinnen nicht mehr zu rechnen sei. Ein solcher Hinweis erfolgte erst – aber auch dort nicht in eindeutiger Weise – in dem Informationsschreiben der Kirchenverwaltung vom 16.05.1997, in dem mitgeteilt wurde, die Termine für die Bewerbung und für das Verfahren zur Einstellung in den Pfarrdienst 1998 lägen wegen der geplanten gesetzlichen Neuregelung des Einstellungsverfahrens noch nicht fest.
Dem Anspruch auf Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand gesetzlicher Regelungen und verwaltungsrechtlichen Handelns steht zukunftsgerichtet die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und der Handlungsspielraum der Verwaltung gegenüber.
Der Beklagten, die die Änderung der Rechtslage herbeigeführt hat, ist keine Willkür vorzuwerfen. Sie sah sich wegen grundlegender Änderung der Gesamtsituation, die zu großen Einsparungen und zur Verminderung der Pfarrstellenzahl zwingt, vor die Notwendigkeit gestellt, im geschehenen Sinne zu handeln.
Eine in solchen Konfliktlagen an sich gebotene Abwägung zwischen begründetem Vertrauen einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens andererseits braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht vorgenommen zu werden. Auch wenn man Zweifel haben könnte, ob das Vertrauen der Kläger und Klägerinnen vorrangig ist und damit Schutz verdient, ist den erhobenen Klagen der Erfolg nicht zu versagen.
Für die Teilnehmer des Kurses 1/96 hätte nämlich eine Übergangsregelung getroffen werden müssen, die ihnen die Übernahme in den Pfarrdienst nach der alten Rechtslage und der bisherigen Praxis gewährleistet hätte. Dies ergibt sich aus folgendem Umstand:
§ 1 Abs. 1 der Übernahmeverordnung, die bis zum Außerkrafttreten des Erprobungsgesetzes, also bis zum 31.12.1997 Geltung hatte, bestimmte: „Pfarramtskandidaten und –kandidatinnen können sich nach der Zweiten Theologischen Prüfung um die Übernahme in das Dienstverhältnis auf Probe bewerben.“ Die Kläger und Klägerinnen hatten somit mit dem Bestehen ihres zweiten Examens im Oktober 1997 das Recht zur Bewerbung, jedenfalls aber eine dahingehende Rechtsstellung erlangt. Der Begriff „Recht zur Bewerbung“ findet sich in Art. 2, Ziff. 4 b) des Dienstrechtsänderungsgesetzes, wo er, wenn auch in anderem Zusammenhang, gebraucht wird. Den im Terminplan genannten Bewerbungstermin „15. November 1997“ ließ zwar die Kirchenverwaltung mit ihrem Schreiben vom 16.05.1997 fallen. Da aber die Rechtslage im November 1997 noch nicht verändert war, konnte dadurch den Klägern und Klägerinnen ihr Recht zur Bewerbung nicht genommen werden. Die Nichtannahme der Bewerbungen gemäß den Bescheiden der Kirchenverwaltung vom 16.11.1997 war von dem zu dieser Zeit noch geltenden Recht nicht gedeckt.
Die Änderung der Rechtslage zum Stichtag 01.01.1998 bewirkte, dass es nicht mehr zum Übernahmeverfahren und damit zu dem Vorstellungsgespräch mit der Übernahmekommission kommen konnte. Hierin liegt aber für die Kläger und Klägerinnen eine unzumutbare Härte. Ihnen wurde, bildlich gesprochen, kurz vor dem Erreichen des Ziels die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ihr „Recht zur Bewerbung“, das sie, bezogen auf die Durchführung des Übernahmeverfahrens, bereits erworben hatten, lief leer. Zu dieser unzumutbaren Härte wäre es nicht gekommen, wenn zugunsten der Teilnehmer des Vikarskurses 1/96 eine Übergangsregelung in das Dienstrechtsänderungsgesetz aufgenommen worden wäre.
In dem Fehlen einer solchen Übergangsregelung liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz leitet sich ebenso wie das Gebot des Vertrauensschutzes aus dem Rechtsstaatsprinzip unseres Grundgesetzes her. Grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen der Rechtskultur, in der die Kirche als öffentlich rechtliche Körperschaft lebt, haben kraft ungeschriebener Transformation ins Kirchenrecht auch Leitbildfunktion für den innerkirchlichen Bereich der evangelischen Landeskirchen in Deutschland (so Weber, ZevKR, 42. Bd., S. 415 ff., insbes. S. 309 – 311).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, dass hoheitliche Maßnahmen, auch solche des Gesetzgebers (BVerfGE 15, 226, 231; 16, 194, 202; 17, 232, 242), für die Betroffenen nicht zu Nachteilen führen dürfen, die zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis stehen. Ein derartiges Missverhältnis sieht das Gericht hier für gegeben an. Der Vikarskurs 1/96 hatte 18 Teilnehmer, die im Oktober 1997 die Zweite Theologische Prüfung bestanden. Auch bei voller Würdigung der Gründe, aus denen die gesetzgebende Synode und die Beklagte handelten, ist es der EKHN zuzumuten, die Kläger und Klägerinnen in den Pfarrdienst zu übernehmen. Ein mehrere Jahre dauernder Einstellungsstopp für künftige Vikarsjahrgänge braucht daraus nicht zu folgen.
Das Fehlen einer Übergangsregelung im Dienstrechtsänderungsgesetz, die jedenfalls zugunsten des Vikarskurses 1/96 hätte erfolgen müssen, stellt eine Gesetzeslücke dar. Das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht, das auch die Kompetenz hat, über die Rechtsgültigkeit von Kirchengesetzen zu entscheiden, vermag diese Lücke zwar nicht durch Ergänzung des Gesetzestextes auszufüllen. Es kann aber die von der Lücke Betroffenen, die für sich ein konkretes Klageziel verfolgen, so stellen, als wäre die Gesetzeslücke nicht vorhanden.
Das bedeutet, dass die Beklagte zu verpflichten war, für die Kläger und Klägerinnen das Übernahmeverfahren nach dem Erprobungsgesetz und der dazu erlassenen Übernahmeverordnung durchzuführen und – da nach diesen alten Regelungen alle anstellungsfähigen Bewerber und Bewerberinnen übernommen wurden – die Kläger und Klägerinnen gemäß dem Ergebnis des Übernahmeverfahrens in ein Dienstverhältnis auf Probe zu übernehmen, wenn ihnen die Anstellungsfähigkeit zuzuerkennen ist.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben (§ 36 S. 1 KVVG). Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens hat die Beklagte als Unterliegende zu tragen (§ 38 KVVG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO). Die Streitwertfestsetzung für die verbundenen Verfahren erfolgte nach Abstimmung mit den Parteien und beruht auf § 38 KVVG i. V. m. § 13 GKG.