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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:26.05.2000
Aktenzeichen:KVVG II 1/00
Rechtsgrundlage:Art. 6 KO; §§ 25,27 KGO; §§ 3,6,36,38 KVVG; §§ 42,154,162 VwGO
Vorinstanzen:
Schlagworte:Gemeindeberatung, Gemeindegruppe, Interessentenklage, Kirchenvorstandssitzungen, Klagebefugnis, Nichtöffentlichkeit, Rechtliche Interessen
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Leitsatz:

1. Das Erfordernis der Berührung rechtlicher Interessen im Sinne von § 6 KVVG hat ähnlich wie im staatlichen Prozessrecht die Klagebefugnis die Funktion, die Interessentenklage auszuschließen. Nur derjenige soll ein Begehren an das Gericht herantragen dürfen, bei dem die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung besteht.
2. Im Hinblick auf die universelle Verantwortung des Kirchenvorstands für das gesamte Gemeindeleben (Art. 6 Abs. 1 KO) bestehen erhebliche Zweifel, ob dem einzelnen Gemeindeglied ein Anspruch auf Anerkennung einer Gruppierung als Gemeindegruppe zustehen kann.
3. Die Regelung des § 37 Abs. 2 KGO über die Nichtöffentlichkeit von Kirchenvorstandssitzungen räumt dem einzelnen Gemeindeglied keinerlei subjektive Rechte ein.

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten hat der Kläger zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
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Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Gruppe „Ökumenischer A-Weg A.“ als Gemeindegruppe der Evangelischen A-Gemeinde in A-B-Stadt. Außerdem erstrebt er die Öffentlichkeit der Kirchenvorstandssitzungen sowie die Inanspruchnahme der Gemeindeberatung.
Der Kläger hat die Frage der Anerkennung sowie der Sitzungsöffentlichkeit mehrfach an den Kirchenvorstand herangetragen. Mit Antwortschreiben vom 30.09.1999, 23.11.1999 und 03.02.2000 teilte die Kirchengemeinde dem Kläger mit, dass der Kirchenvorstand seine Anträge abgelehnt habe.
Mit Schreiben vom 14.09.1999 wandte sich der Kläger wegen der Anerkennung als Gemeindegruppe an den Dekanatssynodalvorstand des Dekanats A. Mit Schreiben vom 28.10.1999 teilte der Dekanatssynodalvorstand dem Kläger mit, dass weder der Dekanatssynodalvorstand noch die Dekanatssynode dem Kirchenvorstand in seine Verantwortung für das Gemeindeleben hineinreden könnten. Der Kirchenvorstand sei insoweit völlig autonom.
Mit Schreiben vom 18.02.2000 bat der Kläger wegen der Anerkennung als Gemeindegruppe sowie der Öffentlichkeit der Kirchenvorstandssitzungen um die Entscheidung der Kirchenleitung. Mit Schreiben vom 28.03.2000 teilte die Kirchenverwaltung dem Kläger mit, die Kirchenleitung sehe keine Möglichkeit, die Beschlüsse des Kirchenvorstandes in Frage zu stellen. Der Kirchenvorstand sei ein demokratisch gewähltes Gremium, das das Recht habe, seine Arbeitsschwerpunkte selbst zu wählen.
Bereits am 04.02.2000 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor, obwohl sich eine große Zahl von Gemeindegliedern – der Kläger spricht von 1000 Personen – durch ihre Unterschrift für die Arbeit des Ökumenischen A-Weges in der Gemeinde ausgesprochen habe, verweigere ihm der Kirchenvorstand die Anerkennung. Wegen der Öffentlichkeit der Kirchenvorstandssitzungen bezieht er sich auf eine Anregung der 6. Kirchensynode auf ihrer 10. Tagung vom 03.-07.12.1984. Auch die Inanspruchnahme der Gemeindeberatung entspreche dem Willen eines Teils der Gemeinde. Der Kläger verweist insoweit auf die der Klageschrift beigefügten Unterschriftslisten.
Der Kläger, der seine Klage ursprünglich gegen den Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchengemeinde in A-B-Stadt gerichtet hatte, hat in der mündlichen Verhandlung die Klage dahin geändert, dass sie sich nunmehr gegen die Kirchenleitung richtet.
Der Kläger beantragt,
den mit Bescheid der Kirchenverwaltung vom 28.03.2000 mitgeteilten Beschluss der Kirchenleitung vom 14.03.2000 aufzuheben und die Kirchenleitung zu verpflichten, den mit Schreiben vom 28.10.1999 mitgeteilten Beschluss des Dekanatssynodalvorstands des Dekanats A. und die mit Schreiben vom 30.09.1999, 23.11.1999 und 03.02.2000 mitgeteilten Beschlüsse des Kirchenvorstands der Kirchengemeinde A-B-Stadt aufzuheben und den Kirchenvorstand anzuweisen, den Ökumenischen A-Weg A. als Gemeindegruppe anzuerkennen, die Sitzungen des Kirchenvorstandes öffentlich durchzuführen und bis Ende 2000 eine Gemeindeberatung zu beantragen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage für unzulässig. Bei der Eingabe des Klägers an die Kirchenleitung handele es sich um eine nichtförmliche Dienstaufsichtsbeschwerde. Die Entscheidung hierüber stelle keinen Verwaltungsakt dar, so dass der Klageweg nicht eröffnet sei.
Sie ist im übrigen der Auffassung, der Umgang des Kirchenvorstandes mit dem Anliegen des Klägers sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe mehrfach Gelegenheit gehabt, sein Anliegen vorzutragen. Auch sei es ihm ermöglicht worden, verschiedene Veranstaltungen in der Gemeinde zu organisieren. Der Vorwurf des Klägers, die angestrebte Friedensarbeit werde von dem Kirchenvorstand abgelehnt, sei nicht gerechtfertigt. Die Art und Weise, mit der der Kläger versuche, sein Anliegen in der Gemeinde durchzusetzen, erzeuge Unruhe und Ängste.
Die Verantwortung für die Ordnung des Gemeindelebens und damit auch für die Anerkennung des Ökumenischen A-Weges als Gemeindegruppe liege allein bei dem Kirchenvorstand als dem Leitungsorgan der Gemeinde. Allein in seiner Verantwortung liege es auch, in welcher Weise er der Empfehlung zur Öffentlichkeit von Kirchenvorstandssitzungen nachkomme und ob die Gemeindeberatung zugezogen werden solle.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Kirchenvorstand der Evangelischen A-Gemeinde A-B-Stadt zu dem Verfahren beigeladen. Der Kirchenvorstand hat keinen Antrag gestellt.
Ausweislich des von dem Beigeladenen vorgelegten Datenauszugs vom 24.05.2000 ist der Kläger zur Kirchengemeinde B. in C-Stadt umgemeindet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Akten der Kirchenleitung und der Kirchengemeinde Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:

Die Klage ist abzuweisen, da sie unzulässig ist. Durch die angegriffenen Beschlüsse des Kirchenvorstands, des Dekanatssynodalvorstands und der Kirchenleitung sind die rechtlich geschützten Interessen des Klägers nicht betroffen.
Gemäß § 6 Nr. 3 KVVG sind in den Fällen des § 3 KVVG antragsberechtigt und parteifähig nur solche Einzelpersonen, deren rechtliche Interessen durch die beanstandete Maßnahme berührt sind. Als Einzelperson gehört der Kläger zwar formell grundsätzlich zu dem Kreis antragsberechtigter Personen, doch fehlt es nach Auffassung der Kammer hier an der Berührung der rechtlich geschützten Interessen des Klägers.
Das Merkmal der Berührung der rechtlichen Interessen in § 6 KVVG hat ähnlich wie im staatlichen Prozessrecht die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO die Funktion, die Interessentenklage ausschließen. Dem nur nachteilig Betroffenen, der keine Rechtsverletzung, sondern lediglich ein – wie auch immer geartetes: wirtschaftliches, kulturelles, ideelles – Interesse vorzubringen vermag, steht eine gerichtliche Entscheidung in der Sache nicht zu (vgl. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 1999, § 42 Abs. 2 RdNr. 7 f.). Nur solche Personen sollen ein Begehren an das Gericht herantragen dürfen, bei denen die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung besteht. Dies setzt voraus, dass die Anwendung von Rechtssätzen möglich erscheint, die (abstrakt) auch dem Schutz der Interessen von Personen zu dienen bestimmt sind, die sich in der Lage des Klägers befinden. Dabei muss die abstrakte Eignung eines Rechtssatzes zur Begründung von subjektiven Rechten realiter bestehen. Dagegen genügt für die tatsächliche Seite des Begehrens die Möglichkeit des Vorliegens eines unter den Rechtssatz zu subsumierenden Sachverhalts (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 11. Auflage 1998, § 42 RdNr. 66).
Ausgehend hiervon ist die Möglichkeit einer Rechtsverletzung im Fall des Klägers zu verneinen. Es sind keine Rechtssätze ersichtlich, die dem Kläger für sein Begehren subjektive Rechte einräumten.
Was zunächst die Anerkennung des Ökumenischen A-Weges als Gemeindegruppe betrifft, so kann offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Einzelnen ein derartiger Anspruch auf Anerkennung oder zumindest auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber zustehen könnte. Abschnitt 1.1 der Lebensordnung bestimmt insoweit lediglich, dass es innerhalb einer Gemeinde unterschiedliche Möglichkeiten dafür geben soll, dass sich Gemeindemitglieder in Gruppen und Kreisen und zu Aktionen treffen. Sofern hieraus überhaupt irgendwelche subjektiven Rechtspositionen ableitbar sein sollten, so stünden sie jedenfalls – wie das Wort Gemeindemitglieder zeigt – ausschließlich einem Mitglied der betreffenden Kirchengemeinde zu.
Damit scheidet für den Kläger die Möglichkeit einer Rechtsverletzung schon deshalb aus, weil er nicht Mitglied der A-Gemeinde in A-B-Stadt ist. Wie sich aus dem von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung überreichten Schreiben der Kirchengemeinde vom 15.01.1997 ergibt, hat der Beigeladene in seiner Sitzung vom 09.01.1997 einer Umgemeindung des Klägers in eine Kirchengemeinde in C-Stadt zugestimmt. Ausweislich des von dem Beigeladenen überreichten Datenauszugs ist der Kläger damals in die Gemeinde B. umgepfarrt worden und gehört dieser formell auch heute noch an. Solange der Kläger formell Mitglied der dortigen Gemeinde ist, scheidet ein Anspruch auf Anerkennung als Gemeindegruppe gegen die Kirchengemeinde A-B-Stadt schon wegen der fehlenden Gemeindezugehörigkeit des Klägers aus. Der Umstand, dass sich der Kläger der A-Gemeinde in A-B-Stadt zugehörig fühlt, ist demgegenüber ohne rechtliche Bedeutung. Für die Zuerkennung etwaiger Ansprüche ist auf den formellen Status als Gemeindemitglied abzustellen.
Im Hinblick auf die fehlende Gemeindemitgliedschaft des Klägers kann offen bleiben, ob dem Kläger ein entsprechender Anspruch zustehen könnte, wenn er Gemeindemitglied wäre. Hieran bestehen im Hinblick auf die universelle Verantwortung des Kirchenvorstandes für das gesamte Gemeindeleben (Art. 6 Abs. 1 KO) erhebliche Zweifel. Mit der Zuerkennung selbst eines Anspruchs auf bloße ermessensfehlerfreie Bescheidung würde nämlich spürbar in die Autonomie des Kirchenvorstands eingegriffen. Derartige Rechtspositionen müssten deshalb dem einzelnen Gemeindemitglied von dem kirchlichen Gesetzgeber eingeräumt werden.
Zweifel an einem Anspruch des Klägers würden im übrigen aber auch in tatsächlicher Hinsicht bestehen. Da die Gruppierung des Klägers offenbar lediglich aus zwei Personen besteht, dürfte sie auch von ihrer Größe her die Voraussetzungen für eine Anerkennung schwerlich erfüllen.
Im übrigen erscheinen die Gründe, die der Kirchenvorstand für seine Ablehnung des klägerischen Begehrens in der mündlichen Verhandlung hat vortragen lassen, nicht sachwidrig. Das Begehren des Klägers hätte deshalb auch bei Zulässigkeit der Klage keinen Erfolg haben können. Es erscheint der Kammer nicht mehr als billig, wenn der Kirchenvorstand von einer Anerkennung der Gruppe Abstand nimmt, bis er diese kennenlernen konnte. Auch erscheinen die Vorbehalte des Kirchenvorstands hinsichtlich der Person des Klägers aufgrund der von diesem angedrohten und auch bereits durchgeführten Handlungen des zivilen Ungehorsams nachvollziehbar und nicht ermessensfehlerhaft. Der Kirchenvorstand ist nicht nur für das Friedensanliegen des Klägers verantwortlich, das er in der Sache sogar weitgehend teilt, sondern für das gesamte Gemeindeleben zuständig. Er muss deshalb auch auf Ängste und Befürchtungen anderer Gemeindeglieder Rücksicht nehmen. Auch hat er seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern nachzukommen. Da die Gruppe des Klägers allenfalls zwei Personen umfasst, kann sie sich zudem problemlos im privaten Kreis treffen.
Auch hinsichtlich der beanspruchten Öffentlichkeit von Kirchenvorstandssitzungen sowie der Anforderung der Gemeindeberatung steht dem Kläger ein subjektives Recht schon deshalb nicht zur Seite, weil er nicht Gemeindemitglied ist. Aber auch als Gemeindemitglied könnte dem Kläger die behauptete Rechtsposition nicht zustehen. Die Regelung des § 37 Abs. 2 KGO über die Nichtöffentlichkeit von Kirchenvorstandssitzungen richtet sich allein an den Kirchenvorstand. Sie räumt dem einzelnen Gemeindeglied keinerlei subjektive Rechte ein. Der Kirchenvorstand entscheidet vielmehr in Wahrnehmung seiner von der Kirchengemeindeordnung eingeräumten Befugnisse autonom über die Zulassung der Öffentlichkeit oder die Einladung der Gemeinde oder eines anderen Personenkreises. Die Empfehlung der 6. Kirchensynode (ABl. EKHN 1985, 82), auf die sich der Kläger beruft, ändert hieran nichts.
Was die Inanspruchnahme der Gemeindeberatung anbelangt, so steht dem Kläger auch insoweit kein Recht zu. Für die Kirchengemeinde entscheidet vielmehr auch hier allein der Kirchenvorstand als das für das gesamte Gemeindeleben verantwortliche Vertretungsorgan der Kirchengemeinde, ob die Gemeindeberatung angefordert werden soll (Art. 6 Abs. 1 KO, §§ 25 KGO, 5 Abs. 1 Leitlinien für die Gemeindeberatung).
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben (§ 36 Satz 1 KVVG). Als unterliegender Teil hat der Kläger die außergerichtlichen Kosten zu tragen (§§ 38 KVVG, 154 Abs. 1 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Da er keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko übernommen hat, entspricht es nicht der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten dem unterliegenden Beteiligten oder der Kirchenkasse aufzuerlegen (§§ 38 KVVG, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).