.
Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:12.05.1989
Aktenzeichen:KVVG II 2/89
Rechtsgrundlage:§§ 29,36,58,61 PfG; §§ 3,18 KVVG; § 86 VwGO; §§ 45,46 VwVfG
Vorinstanzen:
Schlagworte:, Christliche Pfadfinder-Gemeinschaft, Pfarrvikar, Probezeit, Rechtliches Gehör, Verfahrens- und Formfehler, Verwaltungsakt, Wolfgang-Philipp-Gesellschaft
#

Leitsatz:

Tenor:

Der mit Bescheid der Kirchenverwaltung vom 20. Dezember 1988 mitgeteilte Beschluss der Kirchenleitung vom 13. Dezember 1988 wird aufgehoben.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten hat die Beklagte zu tragen.
#

Tatbestand:

Die Klägerin, die mit Wirkung vom 1. Januar 1986 zur Pfarrvikarin ernannt wurde, wendet sich gegen die im Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft bei der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft erfolgte Verlängerung der Probezeit.
Die Wolfgang-Philipp-Gesellschaft wurde 1974 von Oberschülern in C. gegründet. Sie versteht sich als eine Ökumenische christliche Gemeinschaft auf der Grundlage der Erkenntnisse des 1969 verstorbenen evangelischen Theologen Wolfgang Philipp. Mit ihrer Missionsarbeit will sie vor allem Jugendliche ansprechen. Sie hat in den drei Ortsverbänden D., C. und E. rund 80 Mitglieder. Darüber hinaus besteht eine Christliche Pfadfinder-Gemeinschaft mit eigener Satzung und Organisation.
Seit 1982 steht die Wolfgang-Philipp-Gesellschaft in Kontakt mit der Beklagten. Dieser war - ebenso wie die Jugendarbeit der Gesellschaft in der Stadtkirchengemeinde C. und der Melanchthongemeinde in D. - dadurch gekennzeichnet, dass gewisse Eigentümlichkeiten der Gesellschaft, z. B. die Verwendung germanischer Begriffe, die Ämterordnung oder der Stellenwert der Nationalhymne, verschiedentlich die Befürchtung aufkommen ließen, die Wolfgang-Philipp-Gesellschaft verfolge nationalistische Tendenzen.
Um aufgetretene “gegenseitige Verständigungsschwierigkeiten“ auszuräumen, trafen sich Vertreter der Gesellschaft und der Beklagten zwischen September 1986 und April 1987 zu Gesprächen. Die Beklagte bekundete dabei ihr Interesse an einer Zusammenarbeit und erklärte sich zur Unterstützung der Tätigkeit der Wolfgang- Philipp-Gesellschaft bereit. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Ergebnisprotokoll vom August 1987 Bezug genommen.
Am 4. Februar 1988 beschloss das Leitende Geistliche Amt, dass ein Gespräch mit der Klägerin wegen ihrer Zugehörigkeit" zur Wolfgang- Philipp-Gesellschaft geführt werden solle.
In ihrer Sitzung am 13. Dezember 1988 fasste die Kirchenleitung den Beschluss, die Probezeit der Klägerin um ein Jahr zu verlängern. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1988 setzte die Kirchenverwaltung die Klägerin hiervon in Kenntnis. Das Schreiben enthält keine Rechtsmittelbelehrung.
Mit am 13. Februar 1989 bei dem Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie ist der Auffassung, der Bescheid lasse weder erkennen, welche Äußerungen die Beklagte der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft zur Last lege, noch sei ihm zu entnehmen, inwieweit durch die Mitgliedschaft der Klägerin deren Eignung als Pfarrerin in Frage gestellt werde. Die Formulierungen in dem angefochtenen Bescheid seien derart allgemein, dass sie eine Verlängerung der Probezeit nicht begründen könnten.
Darüber hinaus verletze die Beklagte durch den Bescheid vom 20. Dezember 1988 auch ihre Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin. Vor seinem Erlass habe kein persönliches Gespräch mit der Klägerin stattgefunden. Obwohl der Beklagten die Mitgliedschaft der Klägerin in der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft seit längerem bekannt gewesen sei, habe sie die Klägerin während der gesamten Probezeit nicht auf irgendwelche Bedenken angesprochen. Schließlich sei es für die Klägerin überraschend, dass allein ihre Mitgliedschaft in der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft Anlass zu Zweifeln gebe, nachdem die positiven Ergebnisse verschiedener Gespräche zwischen der Gesellschaft und der Beklagten in einem offiziellen Ergebnisprotokoll festgehalten worden seien. Ein Abrücken der Beklagten von diesem Protokoll sei ihr nicht bekannt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den mit Bescheid der Kirchenverwaltung vom 20. Dezember 1988 mitgeteilten Beschluss der Kirchenleitung vom 13. Dezember 1988 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, Anlass für die Bedenken an der Eignung der Klägerin seien bestimmte Äußerungen des Vorsitzenden der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft sowie programmatische Aussagen in der Satzung der Gesellschaft. Die Bedenken seien erst bei einer erneuten Befassung nach Abschluss der im Protokoll vom August 1987 zusammengefassten Gespräche aufgekommen. Für eine weitere Prüfung der besonderen theologischen Problematik durch das Leitende Geistliche Amt sei noch eine angemessene Zeit erforderlich. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten hinsichtlich ihrer Zweifel an der Eignung der Klägerin wird auf den Schriftsatz vom 27. April 1989 Bezug genommen.
Die Beklagte ist im übrigen der Auffassung, der Bescheid könne nicht wegen einer Verletzung der Anhörungspflicht beanstandet werden. Wie sich aus dem Bescheid ergebe, habe die Klägerin Anfang dieses Jahres zu einem Gespräch eingeladen werden sollen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne die im Verwaltungsverfahren unterbliebene Anhörung auch durch eine gerichtliche Anhörung nachgeholt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der vorgelegten Personalakten der Klägerin (1 Band) sowie der die Wolfgang-Philipp-Gesellschaft betreffenden Akten der Beklagten (2 Bände) Bezug genommen.
#

Entscheidungsgründe:

Das Begehren der Klägerin ist als Anfechtungsklage (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KVVG) statthaft. Bei der Verlängerung der Probezeit eines Pfarrvikars handelt es sich um einen belastenden kirchlichen Verwaltungsakt. Er schmälert die Rechtsstellung des Pfarrvikars insoweit, als die Möglichkeit einer Entlassung wegen nicht hinreichender Geeignetheit (§ 61 Abs. 2 lit. b PfG) um die Dauer der Verlängerung der Probezeit hinausgeschoben wird (vgl. für das staatliche Beamtenrecht Hess. VGH, Urteil vom 2. 5. 1984 -1 OE 54/83 -, DöD 1984, 197 m.w.N.).
Die Klage ist auch im übrigen zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht erhoben. Da die angegriffene Maßnahme der Klägerin ohne Rechtsmittelbelehrung bekantgegeben worden ist, war die Anrufung des Gerichts bis zum Ablauf von sechs Monaten seit der Entscheidung zulässig ( § 18 Abs. 3 KVVG).
Die Klage ist begründet. Die Maßnahme der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Beklagte hätte der Klägerin vor Erlass der angegriffenen Maßnahme anhören müssen.
Die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs ist für die Verlängerung der Probezeit eines Pfarrvikars - anders als etwa für die Versetzung eines Pfarrers (vgl. § 36 Abs. 1 PfG) - nicht ausdrücklich angeordnet. Die Notwendigkeit ergibt sich indes auch ohne spezielle gesetzliche Regelung aus der Schutzverpflichtung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gegenüber ihren Pfarrern und Pfarrvikaren (§ 29 Abs. 1 PfG, 58 Satz 1 PfG). Diese gebietet es generell, den Pfarrer oder Pfarrvikar anzuhören, bevor der Dienstherr aus einem Sachverhalt Folgerungen ableitet, die dem Bediensteten abträglich sind. Dies ist für das staatliche Beamtenrecht, dem das Pfarrerrecht in weiten Teilen nachgebildet ist, allgemein anerkannt (vgl. etwa Scheerbarth / Höffken, Beamtenrecht, 4. Auflage 1982, § 17 III 2 b; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 1983, RdNr. 172; Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Auflage 1987, § 116 RdNr. 25) und muss für das kirchliche Dienstrecht in verstärktem Maße gelten. In einer christlichen Gemeinschaft ergibt sich die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nämlich gleichzeitig aus dem Gebot der Brüderlichkeit und des rechten Umgangs miteinander (KVVG, Beschluss vom 25.11.1982 -I 4/82 -, Entscheidungssammlung Nr. 43- Dekanwahl -S. 6).
Dieser Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Zwar hat das Leitende Geistliche Amt in seiner Sitzung am 4. Februar 1988 beschlossen, dass mit der Klägerin ein Gespräch wegen ihrer Zugehörigkeit zur Wolfgang-Philipp-Gesellschaft geführt werden solle. Zu einer derartigen Unterredung ist es aber bis zum Erlass der angegriffenen Entscheidung der Kirchenleitung nicht gekommen. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin, an dessen Richtigkeit das Gericht zu zweifeln keinen Anlass hat, ist sie auch ansonsten während ihrer Probezeit von der Beklagten nicht auf irgendwelche Bedenken im Hinblick auf ihre Mitgliedschaft in der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft angesprochen worden.
Die Beklagte hat die unterlassene Anhörung nicht mit heilender Wirkung nachgeholt.
Das Gericht kann unentschieden lassen, ob insoweit allgemeine Grundsätze des (staatlichen) Verwaltungsverfahrenrechts entsprechend heranzuziehen sind oder ob im kirchlichen Bereich wegen des Gebots des brüderlichen Umgangs miteinander strengere Maßstäbe gelten, da auch bei Zugrundelegung der staatlichen Vorschritten eine Heilung ausscheidet.
Bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung hat ein Gespräch mit der Klägerin nicht stattgefunden, so dass eine Heilung entsprechend dem in § 45 VwVfG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken nicht in Betracht kommt. Nach Klageerhebung lässt § 45 VwVfG eine Heilung durch Handlungen der Verwaltungsbehörde nicht mehr zu, so dass es unerheblich ist, ob die im April 1989 erfolgte Unterredung von Vertretern der Beklagten mit der Klägerin inhaltlich als nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs hinsichtlich der Verlängerung der Probezeit der Klägerin angesehen werden könnte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die im Verwaltungsverfahren unterbliebene Gewährung rechtlichen Gehörs nicht durch das Gericht mit heilender Wirkung nachgeholt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der von der Beklagten zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidung (Beschluss vom 9.3.1982 -9 B 360.82 -, DöV 1982, 744 f.) lediglich ausgesprochen, dass die unterlassene Anhörung das Tatsachengericht grundsätzlich nicht von der Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung entbindet. Die Anhörung des Betroffenen durch das Gericht stellt jedoch keine Nachholung von unterbliebenen Maßnahmen des Verwaltungsverfahrens dar, sondern ist ein eigenständiges Mittel des Gerichts zur Erforschung des Sachverhalts. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb bereits in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 7.10.1980- 6 C 39.80 -, E 61, 45 [50 f.]) ausdrücklich klargestellt, dass eine vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes begründete Rechtsprechung zur Nachholung der fehlenden Anhörung des Wehrpflichtigen vor der Prüfungskammer für Kriegsdienstverweigerer nicht die in § 45 VwVfG geregelte Heilung eines Fehlers im Verwaltungsverfahren betrifft, sondern die Verpflichtung des Gerichts zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO). Wenn das Gericht an anderer Stelle dieser Entscheidung (E 61, 45 [47]) bemerkt, dass "der Verfahrensfehler durch das Gericht heilbar ist", so ist damit nach den späteren Ausführungen nur der Umstand angesprochen, dass der Verfahrensfehler bei gebundenen Entscheidungen letztlich gemäß § 46 VwVfG immer dann ohne Folgen bleibt, wenn im Ergebnis keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (vgl. dazu Meyer/Borgs, VwVfG, 2. Auflage 1982, § 45 RdNr. 18). Eine Heilung im Sinne des § 45 VwVfG bewirkt die gerichtliche Anhörung indes nicht.
Da die Verlängerung der Probezeit eines Pfarrvikars eine Ermessensentscheidung darstellt (§§ 5 Abs. 1 EG, 60 Abs. 1 Satz 2 PfG: "kann"), bleibt die unterlassene Anhörung vorliegend nicht entsprechend dem Rechtsgedanken des § 46 VwVfG (zur Anwendbarkeit vgl. KVVG, Urteil vom 19.8.1980- II 2/80 -, Entscheidungssammlung Nr. 41 -Versetzung eines Pfarrers i.k. Hilfsdienst in den Wartestand -S. 7) folgenlos. Die Vorschrift bezieht sich nämlich nur auf rechtlich gebundene Entscheidungen, da bei Ermessensentscheidungen im Regelfall nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde bei Beachtung des Verfahrensrechts zu einer anderen Entscheidung in der Sache hätte kommen können (Kopp, VwVfG, 4. Auflage 1986, § 46 RdNr. 24). Etwas anderes würde nur dann geltend, wenn sich der Mangel nachweislich nicht auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann, weil angesichts der besonderen Umstände des Falles der Ermessens- oder Beurteilungsspielraum "auf Null reduziert" ist, so dass jede andere als die getroffene Entscheidung rechtswidrig wäre (Kopp, VwVfG, 4. Auflage 1986, § 46 RdNr. 25). Hierfür sind vorliegend indes keine Ansatzpunkte ersichtlich. Es drängt sich im Gegenteil die Notwendigkeit der Gewährung rechtlichen Gehörs hier schon deshalb auf, um der Klägerin Gelegenheit zur Klärung zu geben, ob und inwieweit sie sich mit den ihr zur Last gelegten Äußerungen Dritter, nämlich der Wolfgang-Philipp-Gesellschaft, identifiziert.
Nach alledem erweist sich die Verlängerung der Probezeit bereits wegen der unterlassenen Anhörung der Klägerin als rechtswidrig, so dass es auf die Frage, ob sich die Beklagte bei der Feststellung begründeter Bedenken gegen die Eignung der Klägerin als Pfarrer ( § 5 Abs. 1 EG) im Rahmen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums gehalten hat, nicht ankommt.
Für das Verfahren werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben ( § 36 Satz 1 KVVG). Als unterliegender Teil hat die Beklagte die außergerichtlichen Kosten zu tragen (§§ 38 KVVG, 154 Abs. 1 VwGO).