.
Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:27.03.1957
Aktenzeichen:KVVG II 1/ 56
Rechtsgrundlage:Art. 3,12 GG; §§ 49ff KGO-alt; § 17 KVVG
Vorinstanzen:
Schlagworte:Besoldeter Gemeindedienst, Ermessensentscheidung, Gewohnheitsrecht, Pfarrfrau, Zweckmäßigkeit
#

Leitsatz:

Wenn die Kirchenleitung die Beschäftigung einer Pfarrfrau im besoldeten Gemeindedienst der Gemeinde ihres Ehemannes nicht für zweckmäßig hält und deshalb die nach der Kirchengemeindeordnung erforderliche Genehmigung hierzu versagt, so ist dies keine willkürliche und unsachliche Ermessensausübung (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 KVVG).

Tenor:

Die Beschwerde der Frau B. gegen die Verfügung der Kirchenverwaltung vom 25. April 1956 wird als unbegründet zurückgewiesen.
#

Tatbestand:

Die Beschwerdeführerin ist die Ehefrau des Pfarrers B. (A-gemeinde A). Sie ist von 1940 bis 1948 im kirchenmusikalischen Dienst der Landeskirche, und zwar in der Gemeinde B, tätig gewesen. Anschließend war sie in C, wo ihr Ehemann seit 1949 Pfarrer war, als Chorleiterin und später auch als Organistin bis zum Jahre 1952 besoldet tätig. 1952 wurde ihr Ehemann als Pfarrer in die A-gemeinde A versetzt. Am 15. Oktober 1950 hat die Beschwerdeführerin die B-Prüfung für Kirchenmusiker beim Amt für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau abgelegt.
Durch Beschluss des Kirchenvorstandes der A-gemeinde A ist die Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 15. April 1955 mit der Ausübung des Amtes als Chorleiterin und mit Wirkung vom 23. Mai 1955 auch mit der Ausübung des Kantorenamtes beauftragt worden. Beide Ämter sind besoldet.
Die nach § 50 in Verbindung mit § 49 Absatz 1 d der Kirchengemeindeordnung vom 25. März 1954 erforderliche Genehmigung ist von der Kirchenleitung (Kirchenverwaltung) nicht erteilt worden.
Unter dem 25. April 1956 ist dem Ehemann der Beschwerdeführerin das folgende Schreiben der Kirchenleitung (Kirchenverwaltung) übersandt worden:
"Betr.: Beschäftigung einer Pfarrfrau in besoldeten Gemeindediensten.
Vorg.: Ihr Antrag vom 17.11.1955.
Die Kirchenleitung hat sich mit der oben genannten Angelegenheit wiederholt befasst, auch nach Eingang Ihres Antrags vom 17.11.1955. Sie hat sich jedoch leider nicht in der Lage gesehen, von ihrer grundsätzlichen Auffassung abzuweichen, wie sie in dem Beschluss vom 15.8.1955 zum Ausdruck gekommen ist, wonach die Beschäftigung einer Pfarrfrau im besoldeten Gemeindedienst der gleichen Gemeinde, in der ihr Mann tätig ist, verboten wird. Die Kirchenleitung hat sich lediglich bereit gefunden, in solchen Fällen Ausnahmen zu gestatten, in denen sich außer der Pfarrfrau niemand sonst für den betreffenden Dienst zur Verfügung stellt. Dabei hat die Kirchenleitung jedoch offensichtlich die Verhältnisse in kleinen Landgemeinden im Auge gehabt, so dass sich aus dieser Ausnahmeregelung für die Verhältnisse in A nichts ableiten lässt. Auch Ihr Hinweis auf die Prüfungsbescheinigung nach Ablegung der B-Kirchenmusikerprüfung vermag an der Entscheidung der Kirchenleitung nichts zu ändern, da das Recht Ihrer Frau, sich um jede freie B-Stelle in unserer Kirche zu bewerben, nicht bestritten wird, andererseits aber eine Bewerbungsberechtigung weder einen Anspruch auf Anstellung in einer bestimmten Stelle noch einen Anspruch auf Genehmigung einer solchen Anstellung begründet.
Im Auftrag: gez. E."
Gegen diese am 5. Mai 1956 zugegangene Verfügung hat die Beschwerdeführerin beim Präsidenten des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Beschwerde eingelegt, die am 4. Juni 1956 bei diesem eingegangen ist.
Die Beschwerdeführerin ficht die Gültigkeit der Verfügung an, indem sie geltend macht, in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sei es bisher geltendes Gewohnheitsrecht, dass die Ehefrau des amtierenden Pfarrers im besoldeten Gemeindedienst der gleichen Gemeinde stehen könne. Dieses Recht sei durch die fragliche Verfügung verletzt (§ 17 Absatz 1 Ziffer 1 KVVG). Das Gewohnheitsrecht sei daraus ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin von 1948 bis 1952 im besoldeten Gemeindedienst derselben Gemeinde gestanden habe, in der ihr Mann Pfarrer gewesen sei. Die Kirchenleitung habe ohne Einschränkung ihre Genehmigung zur Ausübung dieser Ämter erteilt, indem sie die Voranschläge der fraglichen Kirchengemeinden genehmigt und die Auszahlung der Vergütungen gebilligt habe. Es sei damals niemals zum Ausdruck gekommen, dass diese Genehmigungen Ausnahmen darstellten. Die Beschwerdeführerin habe im Vertrauen auf diese Übung die zeitraubende und schwierige Ausbildung als Kirchenmusikerin auf sich genommen und die B-Prüfung für Kirchenmusiker bestanden.
Weiter führt die Beschwerdeführerin aus, die Kirchenverwaltung habe die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens nicht eingehalten (§ 17 Ziffer 2 KVVG). Sie habe in unzulässiger Weise einen Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden gemacht. Im übrigen habe die Kirchengemeinde das Recht der Berufung des Kirchenmusikers. Die Kirchenleitung habe nur ihre Rechtshilfe zum Abschluss des Dienstvertrages zu gewähren. Die Kirchenleitung habe nur eine Überprüfung auf Rechtmäßigkeit und formale Richtigkeit der Anstellung vorzunehmen und im übrigen ihre Genehmigung zu erteilen.
Schließlich sei auch das Grundgesetz in Artikel 3 und 12 durch die Beschränkung der Beschwerdeführerin verletzt. Die Verfügung der Kirchenverwaltung setze der Freiheit der Ausübung des Berufes der Beschwerdeführerin unzulässige Schranken.
Die Beschwerdeführerin hat beantragt,
die Verfügung der Kirchenleitung vom 25. April 1956 aufzuheben, die Kirchenleitung anzuweisen, die Genehmigung zu der Anstellung der Beschwerdeführerin als Chorleiterin und Kantorin zu erteilen, und die Vertretung der Beschwerdeführerin durch einen Anwalt als notwendig anzuerkennen.
Die Beschwerdegegnerin hat beantragt,
die Beschwerde in erster Linie als rechtlich unzulässig abzuweisen, hilfsweise, die Beschwerde als sachlich unbegründet zurückzuweisen.
Zur Begründung führt die Beschwerdegegnerin aus, dass von der Beschwerdeführerin eine Rechtsverletzung nicht schlüssig behauptet sei. Von einem Gewohnheitsrecht könne keine Rede sein, bestenfalls von einer Übung, die nur wenige Jahre gedauert habe. Im übrigen könne eine durch Prüfung erworbene Bewerbungsberechtigung keinen Anspruch auf Anstellung in einer bestimmten Stelle noch einen Anspruch auf Genehmigung einer solchen Anstellung begründen. Die Beschwerdegegnerin habe auch die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens eingehalten, indem sie nicht willkürlich zum Nachteil der Beschwerdeführerin entschieden habe, sondern grundsätzliche Erwägungen ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe.
Auch das Recht der freien Berufswahl (Artikel 12 Grundgesetz) gebe der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf Anstellung in einer bestimmten Stelle.
Die Beschwerdeführerin hat zum Beweis dafür, dass die Beschäftigung der Beschwerdeführerin keinen Anstoß in ihrer Gemeinde errege, sondern im Gegenteil die Billigung der Gemeinde finde, beantragt, Herrn W. vom Kirchenvorstand der Dreifaltigkeitsgemeinde in A als Zeugen zu hören. Die Beschwerdegegnerin hat die Ablehnung dieses Beweisantrages als unerheblich beantragt.
Die Ablehnung ist in der Sitzung vom 27. März 1957 mit folgender Begründung erfolgt:
"Der Beweisantrag der Beschwerdeführerin wird abgelehnt, da die in das Wissen dieses Zeugen gestellten Tatsachen als wahr unterstellt werden können, soweit der Zeuge ein erhebliches Urteil abgeben kann. Im übrigen wird der Antrag als unerheblich abgelehnt.“
Im übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien vom 14. September 1956 (Blatt 4 - 8), 11. Oktober 1956 (Blatt 11-12) , 4. Dezember 1956 (Blatt 14-18) und vom 7. Januar 1957 (Blatt 22 d. Akten) sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 27. März 1957 Bezug genommen.
#

Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde war nach § 17 Absatz 3 KVVG fristgemäß und nach § 17 Absatz 1 Ziffer 2 KVVG zulässig, aber nicht begründet. Nach § 50 der Kirchengemeindeordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 25. März 1954 bedürfen Beschlüsse der Kirchengemeindevertretung, die die Bestellung besoldeter Träger gemeindlicher Dienste zum Gegenstand haben, der Genehmigung der Kirchenleitung (Kirchenverwaltung) (§ 50 in Verbindung mit § 49 Absatz 1 d Kirchengemeindeordnung). Wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, handelt es sich bei dieser Genehmigung nicht um eine rein formale Hilfe bei dem Abschluss der Dienstverträge mit dem Kirchenmusiker oder anderen Amtsträgern. Die Kirchenleitung soll vielmehr dann, wenn finanzielle Verpflichtungen übernommen werden, wie im vorliegenden Fall, ein echtes Überwachungsrecht haben. Da hiernach der Beschluss der A-gemeinde A, der die Beschwerdeführerin zur Chorleiterin und Kantorin bestellte, nicht schlechthin bindend für die Kirchenleitung sein konnte, war zu prüfen, ob die Kirchenleitung bei der Versagung der Genehmigung das Recht verletzt oder die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens nicht eingehalten hat. Nun ist zwar von der Beschwerdeführerin behauptet worden, es sei kirchliches Gewohnheitsrecht, dass die Ehefrau des Pfarrers als besoldete Kirchenmusikerin in derselben Gemeinde tätig sein dürfe. Sie führt zum Beweis dafür an, dass die Kirchenleitung etwa vier Jahre lang geduldet habe, dass die Beschwerdeführerin (in B und in C) als besoldete Kirchenmusikerin in der Gemeinde ihres Ehemannes tätig gewesen sei. Aus solcher Übung kann aber noch kein Gewohnheitsrecht hergeleitet werden. Für die Bildung eines Gewohnheitsrechtes fehlen hier sämtliche Voraussetzungen, nämlich die Gleichförmigkeit und Dauer der Übung, und schließlich die Manifestierung des Rechtsgeltungswillens der Gemeinschaft. Von einer solchen Anerkennung kann aber schon mit Rücksicht auf die kurze Dauer der von der Beschwerdeführerin behaupteten Übung hier keine Rede sein (vgl. hierzu Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Allgemeiner Teil, 14. Auflage, Seite 156, ff.).
Ebenso ist es abwegig anzunehmen, dass etwa die Grundrechte der freien Berufswahl oder der Gleichberechtigung durch die angefochtene Verfügung verletzt seien. Es ist der Beschwerdeführerin nicht allgemein untersagt, sich als Musikerin entsprechend ihrer Ausbildung zu betätigen, sondern nur in der Gemeinde, in der ihr Ehemann Pfarrer ist. Sie wird auch nicht etwa in ihrer Eigenschaft als Frau benachteiligt, sondern nur wegen ihrer Eigenschaft als Ehefrau des Gemeindepfarrers.
Da somit eine Rechtsverletzung nicht festzustellen, ja nicht einmal schlüssig behauptet ist, war zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin durch die angefochtene Verfügung die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens verletzt hat (§ 17 Absatz 1 Ziffer 2 KVVG). Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, dies sei dadurch geschehen, dass die Beschwerdegegnerin aus sachfremden, persönlichen Gründen die Interessen der A-gemeinde nicht berücksichtigt habe. Die Beschwerdeführerin hat sich zum Beweis dafür auf das Zeugnis des Kirchenvorstandsmitglieds W. berufen, der bekunden sollte, dass die besoldete Beschäftigung der Beschwerdeführerin als Kantorin und Chorleiterin nicht nur keinen Anstoß in der Gemeinde errege, sondern gerade im Interesse der Gemeinde liege. Indessen kam es auf diese Beweiserhebung für die hier zu entscheidende Frage, ob die Beschwerdegegnerin die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens eingehalten habe, nicht an. Es kann durchaus sein, dass eine Gemeinde über ihr Interesse eine andere Ansicht hat als die Kirchenleitung, sonst bedürfte es der Bestimmung des § 50 Kirchengemeindeordnung nicht. Die Frage war also nur so zu stellen, ob die Beschwerdegegnerin aus willkürlichen und unsachlichen Gesichtspunkten heraus die Genehmigung versagt hat. Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang, dass die Beschwerdegegnerin in ihrer Verfügung einen Unterschied zwischen den Verhältnissen in einer kleinen Landgemeinde und denen in der Großstadt A gemacht habe. Aber auch diese Rüge vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Bei der Versagung der Genehmigung hat die Beschwerdegegnerin sich nicht von willkürlichen oder persönlichen, gegen die Beschwerdeführerin gerichteten, sondern von grundsätzlichen Erwägungen leiten lassen. Sie hält grundsätzlich die Beschäftigung einer Pfarrfrau im besoldeten Gemeindedienst der Gemeinde ihres Ehemannes nicht für zweckmäßig. Nun mag man über die Zweckmäßigkeit dieser Erwägungen vielleicht verschiedener Ansicht sein können, obwohl die Beschwerdegegnerin beachtliche Gründe für ihre Auffassung ins Feld führen kann. Bei der Anwendung des § 17 Ziffer 2 KVVG geht es aber gerade nicht um Nachprüfung der Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung, sondern darum, ob die Erwägungen der Beschwerdegegnerin frei von Rechtsirrtum, von Laune und Willkür sind (vgl. hierzu Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Auflage 1948, S. 36 f). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin ihre Entscheidung nicht willkürlich und unsachlich zum Nachteil der Beschwerdeführerin getroffen. Im Gegenteil, sie hat nicht zu beanstandende grundsätzliche Erwägungen ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Auch der Hinweis auf die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für den Fall, dass sich keine andere geeignete Kraft außer der Pfarrfrau für diesen Gemeindedienst finde, lässt keinen Ermessensmissbrauch erkennen.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen. Da die Beschwerdeführerin ohne Erfolg geblieben ist und daher die Beschwerdegegnerin nicht verpflichtet ist, etwaige Auslagen der Beschwerdeführerin zu tragen, brauchte über den Antrag, die Vertretung durch einen Anwalt für notwendig zu erklären, nicht entschieden zu werden.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 33 KVVG).
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.