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Kirchengericht:Kirchliches Verfassungs- und Verwaltungsgericht der EKHN
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:19.01.1955
Aktenzeichen:KVVG I 1/53
Rechtsgrundlage:§§ 2,17 KVVG; §§ 54ff. Kirchenverfassung; §§ 56,59 KGO; Art. 1ff. KO
Vorinstanzen:
Schlagworte:Entscheidungsbefugnis, Förmliche Zustellung, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Organstreitigkeiten, Verbandsorgane, Verwaltungsakt, Vorverfahren
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Leitsatz:

1. Der kirchliche Gesetzgeber geht davon aus, dass im kirchlichen Raum Streitigkeiten in der Regel auf andere Weise als in einem formellen gerichtlichen Verfahren beizulegen sind. Die Voraussetzungen, unter denen das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht zur Entscheidung berufen ist, sind daher im Gesetz erschöpfend aufgezählt.
2. § 2 Nr. 2 KVVG betrifft Kompetenzstreitigkeiten zwischen kirchlichen Organen. Ein solcher Streit über Kompetenzabgrenzungen liegt vor, wenn bestimmte, im einzelnen bezeichnete Rechte oder Befugnisse zwischen den Parteien streitig sind. Dagegen ist das Verfahren nach § 2 Nr. 2 KVVG nicht dazu bestimmt, das rechtmäßige Zustandekommen eines kirchlichen Organs zu klären.
3. Ein Beschluss der Kirchenleitung, der die Satzung eines Gemeindeverbandes genehmigt, ist eine nach § 2 Nr. 3 KVVG anfechtbare Verwaltungsentscheidung.
4. Kenntniserlangung im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 KVVG setzt keine förmliche Zustellung voraus.
5. Vor Anrufung des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts müssen andere, gesetzlich vorgesehene Streitbeilegungsverfahren ausgeschöpft sein. Ist das nicht der Fall, so fehlt es am Rechtsschutzinteresse.

Tenor:

Die Anträge der Antragstellerin werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
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Tatbestand:

Die evangelisch-lutherischen A. Innenstadtkirchen bildeten ursprünglich eine Gesamtgemeinde. Sie wurde 1899 in mehrere selbständige Kirchengemeinden geteilt; zugleich wurden diese zu einem evangelisch-lutherischen Stadtsynodalverband zusammengeschlossen, auf den das Vermögen der Gesamtgemeinde überging. Später wurden auch die evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden außerhalb des Alt-A. Stadtgebietes und die evangelisch-unierten Kirchengemeinden dem Synodalverband angeschlossen.
Nach §§ 54 - 66 der Verfassung der Evangelischen Landeskirche A. vom 12. Januar 1923 i.d.F. vom 29. Juni 1929 (Amtsbl. S. 25) im folgenden A. Kirchenverfassung genannt - bilden sämtliche A. evangelisch-lutherischen und evangelisch-unierten Kirchengemeinden für die Verwaltung der ihnen gemeinsamen finanziellen Angelegenheiten einen Gesamtverband (Stadtsynodalverband) als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Organe dieses Verbandes sind die Stadtsynode, die aus allen Pfarrern der zugehörigen Gemeinden und der doppelten Anzahl weltlicher, von den Kirchenvorständen der Gemeinden zu wählenden Mitglieder besteht, sowie der Vorstand der Stadtsynode, den diese aus ihrer Mitte wählt. Die Aufgaben der Stadtsynode und des Vorstandes ergeben sich im einzelnen aus den §§ 61 ff. der A. Kirchenverfassung; bestimmte Beschlüsse der beiden Organe, insbesondere über die Errichtung von Synodalsatzungen, bedürfen der Genehmigung des Landeskirchenrats.
Durch das Kirchengesetz über die Auflösung der kirchlichen Gemeindevertretungen 28. Februar 1934 (GVBl.S.3O) wurde die Stadtsynode aufgelöst; ihre verfassungsmäßigen Zuständigkeiten gingen nach § 1 Absatz 2 des Gesetzes auf den Vorstand der Stadtsynode über.
Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Reiches übertrug die Vorläufige Leitung der Evangelischen Kirche in A. durch Verordnung vom 26. September 1947 die Aufgaben und Rechte des Vorstandes der Stadtsynode bis zu einer kirchenordnungsmäßigen Neubildung einem vierköpfigen Verwaltungsausschuss, der die Bezeichnung "Vorstand der Stadtsynode der Evangelisch-Lutherischen und Evangelisch-Unierten Kirchengemeinden" führte. Diese Maßnahme wurde von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gebilligt. Der Vorstand berief im Einvernehmen mit der Vorläufigen Kirchenleitung eine Vertreterversammlung zur Beschlussfassung über eine dem Einladungsschreiben im Entwurf beiliegende Satzung und beauftragte die Kirchenvorstände, zur Vertretung ihrer Gemeinden ihre Pfarrer und pro Pfarrstelle je zwei Laien zu entsenden. Die aufgrund dieser Einladung zusammentretende Versammlung; beschloss am 9. Februar 1949 eine Satzung, die nach Anhörung des Verfassungsausschusses der Kirchensynode von der Vorläufigen Kirchenleitung mit Beschluss vom 21. März 1949 genehmigt wurde. Sie bestimmt, dass die evangelisch-lutherischen und evangelisch-unierten Kirchengemeinden in A. für die Verwaltung ihrer gemeinsamen finanziellen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und baulichen Angelegenheiten den "Gemeindeverband der evangelisch-lutherischen und evangelisch-unierten Kirchengemeinden in A." bilden. Als verantwortliches Organ des Verbandes wird die Gesamtvertretung bestellt; ihre Zusammensetzung entspricht im wesentlichen der Zusammensetzung der früheren Stadtsynode, jedoch bestehen Unterschiede in der Amtsdauer der Laienmitglieder und im Wahlverfahren. Außerhalb der Tagungen werden die Rechte und Pflichten der Gesamtvertretung von dem Vorstand des Gemeindeverbandes wahrgenommen, der von der Gesamtvertretung gewählt wird.
Durch Beschluss der Gesamtvertretung vom 15. April 1953 wurde die Satzung geändert und neu gefasst; in der Anlage zu dieser Satzung sind die zum Verband gehörenden Gemeinden, darunter auch die Antragstellerin, namentlich aufgeführt. Nach der Neufassung der Satzung ist für die Aufnahme einer Kirchengemeinde in den Verband oder für ihr Ausscheiden ein Antrag der Kirchengemeinde erforderlich, der mit Zweidrittelmehrheit der Gemeindevertretung beschlossen sein muss. Über den Antrag entscheidet die Gesamtvertretung des Verbandes, gleichfalls mit Zweidrittelmehrheit. Lehnt sie den Antrag ab, so kann die Gemeinde ein Schiedsgericht anrufen, das endgültig entscheidet. Die Satzung bezeichnet den Verband als Rechtsnachfolger des früheren Stadtsynodalverbandes und als Körperschaft des öffentlichen Rechts sowie als eine Einrichtung im Sinne des § 4 des Kirchengesetzes betreffend Allgemeine und Einführungsbestimmungen zur Ordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 17. März 1949 (Amtsbl. S. 34). Die Aufgaben des Verbandes sind im Vergleich zur A. Kirchenverfassung und zu der Satzung vom 9. Februar 1949 erweitert und näher bezeichnet. Er hat u.a. nach § 3
(a) den jährlichen Haushaltsplan festzusetzen,
(c) die den Gemeinden zustehenden Abgaben zu vereinnahmen und gemäß den gesamtkirchlichen Vorschriften zu verwalten,
(d) gemeinsam mit dem Kirchenvorstand und gegebenenfalls mit der Kirchengemeindevertretung auf die ordnungsmäßige Verwaltung des Pfarr- und Kirchenvermögens der Gemeinde achtzuhaben,
(g) die Stellenpläne für Kirchengemeindebeamte und Angestellte der zum Gemeindeverband gehörenden Kirchengemeinden aufzustellen und Grundsätze über die Einstellung und Entlassung von Gemeindepersonal zu erlassen,
(k) im Einvernehmen mit den Körperschaften der betreffenden Gemeinden im Rahmen des genehmigten Haushaltsplanes die bauliche Unterhaltung aller Gebäude wahrzunehmen, den zur Sicherstellung des Raumbedarfs der Gemeinden erforderlichen Aufbau zerstörter und neuer Gebäude zu planen und durchzuführen, sowie den bebauten und unbebauten Grundbesitz zu verwalten.
Die Satzung tritt nach ihrer eigenen Bestimmung erst nach Genehmigung durch die Kirchenleitung und nach Anerkennung durch die Kirchensynode in Kraft.
Schon vor der Beschlussfassung der Gemeindevertretung war mit der Kirchenleitung über die Genehmigung der Satzung verhandelt worden; hierbei genehmigte die Kirchenleitung den später von der Gesamtvertretung beschlossenen Entwurf der Satzung mit Beschluss vom 30. März 1953. Die Kirchensynode erkannte die Satzung mit Beschluss vom 6. Mai 1953 an. Druckstücke der Satzung, die einen Vermerk über die Genehmigung der Kirchenleitung und die Anerkennung der Kirchensynode enthielten (Bl. 44/45 d.A.), wurden spätestens bis Mitte Juni 1953 an die Kirchenvorstände der beteiligten Gemeinden, darunter auch an den Kirchenvorstand der Antragstellerin verteilt.
Nach Erlass des Kirchengesetzes betreffend die Kirchengemeindeordnung vom 25. März 1954 (Amtsblatt Nr. 6) hat der Gemeindeverband seine Satzung gemäß §§ 56, 59 der Kirchengemeindeordnung im Oktober 1954 der Kirchenleitung zur erneuten Genehmigung vorgelegt, das Genehmigungsverfahren war bei Schluss der mündlichen Verhandlung noch nicht beendet.
Die Antragstellerin hat aufgrund eines Beschlusses ihrer Gemeindevertretung vom 19. August 1953 mit Schriftsatz vom 30. November 1953, der am 3. Dezember 1953 bei Gericht eingegangen ist, die Rechtsunwirksamkeit des Gemeindeverbandes und der Satzung vom 15. April 1953 geltend gemacht und sich gegen die Genehmigung und Anerkennung dieser Satzung durch die Antragsgegnerinnen gewandt.
Sie ist der Ansicht, der auf der A. Kirchenverfassung beruhende Stadtsynodalverband habe mit dem Kirchengesetz vom 28. Februar 1934 zu bestehen aufgehört. Demnach könne der jetzige Gemeindeverband nicht der Rechtsnachfolger des Synodalverbandes sein. Eine Neugründung des Verbandes wäre nur durch freiwillige vertragliche Vereinbarung der allein vertretungsberechtigten Organe der Gemeinden zulässig gewesen. Hieran fehle es aber bei den Beschlüssen der Versammlungen von 1949 und 1953, da die in Anlehnung an die A. Kirchenverfassung berufenen Pfarrer und Laien kein Recht zur organschaftlichen Willensbildung gehabt hätten und weder ausdrücklich noch stillschweigend von den vertretungsberechtigten Organen ihrer Gemeinden bevollmächtigt gewesen seien. Der jetzige Gemeindeverband nehme auch andere, sehr viel weitergehende Funktionen in Anspruch als der Stadtsynodalverband; so habe der Stadtsynodalverband namentlich die Selbständigkeit der Gemeinden in wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und baulichen Angelegenheiten nicht angetastet.
Die Antragstellerin meint weiter, der Bestand des Gemeindeverbandes sei nicht vereinbar mit der Ordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 17. März 1949 - Amtsblatt S. 27- (Kirchenordnung). Selbst wenn der Synodalverband 1934 nicht aufgelöst worden sei, so habe er spätestens mit dem Erlass der Kirchenordnung, die Verbände dieser Art nicht erwähne, seine Rechtsgrundlage verloren. Besonders stünden die vom Gemeindeverband in Anspruch genommenen Befugnisse und der Inhalt der Satzung vom 15. April 1953 in Widerspruch mit Geist und Wesen der evangelischen Gemeinde, wie sie in Artikel 1 - 3 der Kirchenordnung zum Ausdruck komme. Das Bekenntnis zu Christus umschließe alle Lebensäußerungen der Gemeinde, auch die rechte Verwaltung der Mittel und die Liebestätigkeit. Wo die Gemeinde in diesen Lebensäußerungen eingeschränkt werde, werde sie zugleich auch am Bekennen gehindert.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Satzungsbestimmungen über die Zwangsmitgliedschaft, besonders die Erschwerung des Austritts aus dem Gemeindeverband, auch gegen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs verstießen. Sie meint ferner, dass der Gemeindeverband auch in dem Einführungsgesetz zur Kirchenordnung keine Rechtsgrundlage finden könne. Dieses Gesetz sei nicht ordnungsgemäß verkündet, im übrigen beziehe sich sein § 4 nicht auf den Zusammenschluss von Gemeinden, sondern nur auf Einrichtungen innerhalb einer Gemeinde.
Die Antragstellerin folgert aus den vorgetragenen Ausführungen, dass die Antragsgegnerinnen mangels verfassungsrechtlicher Zuständigkeit und wegen der fehlenden Rechtswirksamkeit des Gemeindeverbandes die Satzung vom 15. April 1953 nicht hätten genehmigen oder anerkennen dürfen. Die Genehmigung durch die Antragsgegnerin zu 1) sei außerdem auch fehlerhaft, weil sie schon vor der Beschlussfassung der Gesamtvertretung über die Satzung erteilt worden sei.
Die Antragstellerin hat anfangs, auf Unklarheiten ihres Begehrens hingewiesen, mit ihrer Eingabe vom 17. Januar 1954 erklärt, dass ihr Antrag zunächst eine Beschwerde gegen die Genehmigung und Anerkennung der Satzung durch die Antragsgegnerinnen darstellen solle, und demgemäss am 7. Juli 1954 beantragt:
die Genehmigung der Satzung des Gemeindeverbandes der evangelisch-lutherischen und evangelisch-unierten Kirchengemeinden A. vom 15. April 1953 durch Beschluss der Kirchenleitung vom 30. März 1953 und die Anerkennung der Satzung durch Beschluss der Kirchensynode vom 6. Mai 1953 aufzuheben.
In der letzten mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 1955 hat sie ihr Begehren auch auf § 2 Nr. 2 des Kirchengesetzes über das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht gemäß Artikel 56 der Kirchenordnung vom 14. Februar 1952 - Amtsblatt S. 18 - (KVVG) gestützt und den folgenden weiteren Antrag gestellt:
festzustellen, dass der Gemeindeverband der evangelisch-lutherischen und
evangelisch-unierten Kirchengemeinden A. nicht rechtsgültig begründet und seine Satzung vom 15. April 1953 nicht rechtsverbindlich ist, in diesem Falle auch nicht die Satzung vom 9. Februar 1949.
Nach Erklärung des Prozessbevollmächtigten ist dieser Antrag sowohl namens der Antragstellerin als auch namens ihres Kirchenvorstandes gestellt und richtet sich sowohl gegen die Antragsgegnerinnen zu 1) und 2) als auch gegen den Gemeindeverband und dessen Vorstand.
Die Antragsgegnerinnen beantragen:
die Anträge der Antragstellerin abzuweisen.
Die Antragsgegnerin zu 1) sieht in dem Feststellungsbegehren der Antragstellerin eine unzulässige Klageänderung, insbesondere weil hierdurch gegenüber dem Beschwerdeverfahren neue Parteien in den Rechtsstreit einbezogen würden.
Beide Antragsgegnerinnen treten den Rechtsausführungen der Antragstellerin entgegen. Sie sind der Ansicht, dass die Auflösung der Synode durch das Gesetz vom 28. Februar 1934 den rechtlichen Bestand des Synodalverbandes als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht berührt habe. Das 1934 weggefallene Vertretungsorgan sei im Zuge der kirchlichen Neuordnung nach 1945 in Anlehnung an die A. Kirchenverfassung wieder hergestellt worden; der jetzige Gemeindeverband sei dasselbe Rechtssubjekt wie der Stadtsynodalverband.
Die Antragsgegnerinnen meinen, dass der Gemeindeverband und seine Satzung nicht gegen die Kirchenordnung verstoße. Der Gemeindeverband sei kein Zwangsverband, sondern eine Ordnung, wie sie für jede größere Gemeinschaft notwendig sei. Die Kirchenordnung lasse nach ihrem Sinn, besonders durch die Absage an den Gemeindeegoismus und die Verpflichtung jeder Gemeinde zu brüderlichem Zusammenstehen (Artikel 3 KO) die Bildung von Gemeindeverbänden zu. Diese seien namentlich im Raum einer Großstadt notwendig, um die Verwaltung zu vereinfachen und durch die Zusammenfassung des Willens der einzelnen Gemeinden eine stärkere Beachtung der evangelischen Belange im Leben der Großstadt zu erreichen. Die Verwaltung der gemeinsamen rechtlichen, wirtschaftlichen und baulichen Angelegenheiten sei auch unter der Geltung der A. Kirchenverfassung bereits praktiziert worden.
Die Antragsgegnerinnen sind der Ansicht, dass die Genehmigung und Anerkennung der Satzung vom 15. April 1953 ihre Rechtsgrundlage in § 4 des Einführungsgesetzes zur Kirchenordnung finde; unter Gemeindesatzung im Sinne dieser Vorschrift sei auch die Satzung eines Gemeindeverbandes zu verstehen.
Der Gemeindeverband der evangelisch-lutherischen und evangelisch-unierten Kirchengemeinden A. ist den Antragsgegnerinnen als Beistand beigetreten; seine Ausführungen stimmen mit dem Vortrag der Antragsgegnerinnen überein.
Das Gericht hat der Antragstellerin durch Beschluss vom 17. Juli 1954 aufgegeben, sich zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde und zur Frage ihres sachlichen Interesses an der Entscheidung im Hinblick auf das nach den §§ 56 und 59 der Kirchengemeindeordnung vom 25. März 1954 erforderliche erneute Genehmigungsverfahren zu äußern.
Hierzu hat die Antragstellerin folgendes vorgetragen:
Die Beschwerdefrist sei gewahrt, da der Beginn der Frist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen und nach § 117 der A. Kirchenverfassung eine formelle Eröffnung, Zustellung oder Verkündung des angefochtenen Aktes voraussetze, an der es hier fehle. Sie macht weiter geltend, dass die im § 17 Absatz 3 Satz 3 KVVG vorgesehene Ausschlussfrist unwirksam sei, insbesondere deswegen, weil das KVVG im Gegensatz zum Hessischen Verwaltungsgerichtsgesetz eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorschreibe.
Zur Frage des sachlichen Interesses meint die Antragstellerin, dass die §§ 56 und 59 der Kirchengemeindeordnung auf den Gemeindeverband und seine Satzung ebenso wenig angewendet werden könnten wie § 4 des Einführungsgesetzes zur Kirchenordnung, da diese Vorschriften nur Gemeindesatzungen beträfen. Selbst wenn die Kirchengemeindeordnung anwendbar sei, könne dies die Zulässigkeit des schon vor Erlass der Kirchengemeindeordnung anhängigen kirchengerichtlichen Verfahrens nicht berühren.
Die Antragsgegnerinnen und der Gemeindeverband halten die Beschwerde für unzulässig, weil die Beschwerdefrist versäumt sei, und bestreiten ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin an der Entscheidung.
Für die weiteren Ausführungen der Parteien und des Gemeindeverbandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze und das Rechtsgutachten des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:

Das Begehren der Antragstellerin konnte keinen Erfolg haben.
I. Soweit die Antragstellerin beantragt festzustellen, dass der Gemeindeverband nicht rechtsgültig begründet und seine Satzungen vom 9. Februar 1949 und vom 15. April 1953 nicht rechtsverbindlich seien, ist ihr Antrag unzulässig.
Das Kirchengesetz über das Kirchliche Verfassung- und Verwaltungsgericht gemäß Artikel 56 der Kirchenordnung (KVVG) räumt dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht nicht für alle im kirchlichen Bereich erwachsenden Streitigkeiten eine Zuständigkeit ein, wie sie vergleichsweise den Verwaltungsgerichten nach § 22 HessVGG zukommt. Der kirchliche Gesetzgeber geht vielmehr erkennbar davon aus, dass im kirchlichen Raum Streitigkeiten in der Regel auf andere Weise und durch andere Instanzen beizulegen sind und ein formelles gerichtliches Verfahren hierzu nur in bestimmten Fällen als geeignet und notwendig erscheint. Er hat daher die Voraussetzungen, unter denen das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht zur Entscheidung berufen ist, in den §§ 2 und 3, begrenzt noch durch die §§ 4, 5 und 17 KVVG, erschöpfend aufgezählt und im einzelnen geregelt. Hierbei hat er mehrere Verfahrensarten unterschieden. Der Feststellungsantrag der Antragstellerin kann jedoch in keinem der hier vorgesehenen Verfahren verfolgt werden.
Das nach dem Inhalt des Antrags zunächst in Frage kommende Verfahren auf Erstattung eines Rechtsgutachtens gemäß § 3 Nr. 1 KVVG scheidet aus, weil nach dieser Vorschrift Rechtsgutachten nur von der Kirchensynode oder der Kirchenleitung erbeten werden können, nicht aber von einer Kirchengemeinde wie der Antragstellerin.
Aber auch § 2 Nr. 2 KVVG, auf den die Antragstellerin ihren Feststellungsantrag stützen will, kann für ein Begehren dieser Art nicht herangezogen werden. Diese Vorschrift sieht ein Parteiverfahren vor, das den sogenannten Verfassungsstreitigkeiten im Bereich der weltlichen Verfassungsgerichtsbarkeit vergleichbar ist: ein Verfahren zwischen kirchlichen Organen, deren rechtliche Existenz auf der Kirchenordnung oder einem Kirchengesetz beruht, zur Entscheidung von Streitigkeiten über die gegenseitigen Kompetenzen. Dabei ergibt sowohl die Gesamtbetrachtung dieses Verfahrens wie der Gesetzeswortlaut: "gegenseitige Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den durch die Kirchenordnung oder durch Kirchengesetze geschaffenen kirchlichen Organen", dass der Antrag den Antragsgegner als ein rechtsgültig geschaffenes Organ voraussetzt. Ein Antrag, der dementgegen die Rechtsungültigkeit des Gegners festgestellt haben will, ist mit diesem Verfahren nicht vereinbar.
Das Feststellungsbegehren der Antragstellerin kann auch sonst nicht in einen nach § 2 Nr. 2 KVVG zulässigen Antrag umgedeutet werden. Denn das Begehren einer Zuständigkeitsabgrenzung setzt voraus, dass bestimmte, im einzelnen bezeichnete Rechte oder Befugnisse zwischen den Parteien streitig sind. Trotz wiederholter Belehrung durch das Gericht hat die Antragstellerin es unterlassen, solche streitigen Zuständigkeiten zu bezeichnen. Sie hat vielmehr aus-drücklich auf der unzulässigen Formulierung ihres Antrages beharrt. Sie hat hierzu erklärt, dass sie sich durch Einzelmaßnahmen des Gemeindeverbandes nicht beschwert fühle, vielmehr im Ganzen mit der Verwaltungstätigkeit des Gemeindeverbandes einverstanden sei, dass ihr Angriff sich aber gegen die allgemeine von dem Verband in Anspruch genommene Rechtsstellung und die daraus möglicherweise für die Zukunft entstehenden Gefahren richte.
Somit liegt nach dem Vorbringen der Antragstellerin ein konkreter Zuständigkeitsstreit im Sinne des § 2 Nr. 2 KVVG nicht vor. Sie verlangt vielmehr eine allgemeine abstrakte Feststellung der gegenseitigen Rechtsstellung, die wohl freilich auch nur gutachtlich - in einem Verfahren nach § 3 Nr. 1, nicht aber in einem Verfahren nach § 2 Nr. 2 KVVG begehrt werden kann. Ihr Feststellungsantrag war daher schon aus diesem Grunde als unzulässig zurückzuweisen. Es bedarf daher nicht mehr der Prüfung, ob die übrigen Voraussetzungen des § 2 Nr. 2 KVVG erfüllt sind, besonders ob einerseits die Antragstellerin, andererseits der Gemeindeverband und sein Vorstand überhaupt kirchliche "Organe" im Sinne dieser Vorschrift sind und ob ein Antrag nach § 2 Nr. 2 KVVG gleichzeitig gegen eine kirchliche Körperschaft und ihr Vertretungsorgan gerichtet werden kann. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob der Übergang aus dem Beschwerdeverfahren nach § 2 Nr. 3 KVVG in einen Zuständigkeitsstreit nach § 2 Nr. 2 KVVG und die damit verbundene einseitige Einbeziehung einer neuen Partei zulässig war, sowie ob beide Verfahren trotz verschiedener Parteien miteinander verbunden werden können.
II. Auch der weitere Antrag der Antragstellerin, der sich gegen die Genehmigung und Anerkennung der Satzung vom 15. April 1953 durch die Antragsgegnerinnen richtet, ist nicht zulässig. Zwar handelt es sich hier um einen Antrag im Sinne des § 2 Nr. 3 KVVG: eine Beschwerde gegen einen Beschluss der Synode nämlich die Anerkennung der Satzung am 6. Mai 1953 - und gegen eine Verwaltungsentscheidung - nämlich gegen den Genehmigungsbeschluss der Kirchenleitung vom 30. März 1953 -, die auf die unrichtige Anwendung kirchlicher Rechtsnormen - nämlich der Kirchenordnung und der A. Kirchenverfassung - gestützt wird. Auch die Voraussetzungen des § 5 für die Antragsberechtigung und die Parteifähigkeit, der Antragstellerin sind erfüllt. Die Antragstellerin ist nach der Kirchenordnung eine kirchliche Körperschaft, und ihre rechtlichen Interessen werden durch die Entscheidung über die Gültigkeit der angefochtenen Beschlüsse berührt, da hiervon die Gültigkeit der Satzung selbst und damit die in dieser Satzung normierten Rechtsbeziehungen zwischen ihr und dem Gemeindeverband betroffen werden können.
1. Die Beschwerde ist jedoch nicht rechtzeitig erhoben. Nach § 17 Absatz 3 Satz 1 und 2 KVVG muss die Beschwerde binnen einem Monat nach dem Zeitpunkt eingelegt werden, in dem der Beschwerdeführer von der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erlangt hat. Hierunter ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem der Beschwerdeführer eine sichere oder an Sicherheit grenzende Kenntnis von der Tatsache und dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung erwirbt, ohne dass es darauf ankäme, auf welche Weise er diese Kenntnis erlangt hat. Jedenfalls ist es nicht erforderlich, dass die betreffende Entscheidung dem Beschwerdeführer förmlich zugestellt oder auf andere Weise von der entscheidenden Stelle in einem formellen Verfahren zur Kenntnis gegeben wird. Sowohl die Verkehrssprache wie die Rechtssprache unterscheiden deutlich zwischen der "Kenntnis“, wobei allein die Wahrnehmung eines Vorganges durch den Betroffenen maßgebend ist, und der "Zustellung", die auf das formelle Verfahren der Bekanntgabe abstellt. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das KVVG die Worte "Kenntnis erlangt" in einem anderen als dem üblichen Sinne verstanden wissen wollte, zumal es an anderen Stellen, nämlich in den §§ 29 und 31 ausdrücklich den Begriff "zustellen" verwendet.
Es gibt auch keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach der Lauf von Rechtsmittelfristen eine formelle Bekanntgabe durch Zustellung, Verkündung oder Eröffnung voraussetzt. Zwar trifft es zu, dass das Hessische Verwaltungsgerichtsgesetz nach ausdrücklicher Vorschrift im § 42 den Beginn der Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage an die Eröffnung oder Zustellung des Bescheides anknüpft. Jedoch stand es dem Gesetzgeber des KVVG frei, ob er diese Regelung für den Bereich des kirchlichen Rechts übernehmen wollte oder nicht. Die von ihm gewählte andere Regelung stimmt überein z.B. mit §§ 50, 64 Absatz 3, 69, 71 Absatz 2 des noch jüngeren Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951.
Das Erfordernis einer Zustellung kann auch nicht aus § 117 Absatz 2 der A. Kirchenverfassung geschlossen werden, nach dem Rechtsmittel beim Landeskirchenrate binnen einer Ausschlussfrist von 14 Tagen seit Zustellung der Entscheidung einzulegen sind. Diese Vorschrift bezog sich auf das Verfahren, beim Landeskirchengericht nach der A. Kirchenverfassung; sie ist durch die Kirchenordnung in Verbindung mit dem KVVG aufgehoben worden. Im übrigen schreibt auch diese Vorschrift im Gegensatz zu der Formulierung des § 17 Absatz 3 KVVG ausdrücklich eine Zustellung vor.
Danach kommt es allein darauf an, wann die Antragstellerin von der Genehmigung und der Anerkennung der Satzung erfahren hat; da die Antragstellerin eine Körperschaft ist, ist hierbei die Kenntnisnahme ihres Kirchenvorstandes als des vertretungsberechtigten Organs (Artikel 14 KO in Verbindung mit § 47 Absatz 1 KGO) entscheidend. Unstreitig hat der Kirchenvorstand der Antragstellerin spätestens Mitte Juni 1953 ein Druckstück der am 15. April 1953, beschlossenen Satzung erhalten. Dieses Druckstück enthielt auf der vorletzten Seite folgenden gedruckten Vermerk: "Genehmigt durch Beschluss der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 30 März 1953, anerkannt durch die Kirchensynode mit Beschluss vom 6 Mai 1953". Somit hat die Antragstellerin spätestens Mitte Juni 1953 auch von der Genehmigung und Anerkennung der Satzung Kenntnis erhalten; die am 3. Dezember 1953 bei Gericht eingegangene Beschwerde ist daher verspätet.
2. Beim Eingang der Beschwerde war überdies nicht nur die Einlegungsfrist des § 17 Absatz 3 Satz 1 KVVG, sondern auch die Ausschlussfrist des § 17 Absatz 3 S. 3 KVVG verstrichen. Nach dieser Vorschrift kann eine Beschwerde 6 Monate nach Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht mehr erhoben werden. Gegen die Anwendung dieser Vorschrift bestehen keine rechtlichen Bedenken, wie § 93 Absatz 2 BVerfGG zeigt. In allen Rechtsgebieten finden sich Regelungen, in denen vorgesehen ist, dass nach Ablauf bestimmter Fristen ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf nicht mehr geltend gemacht werden kann. Solche Fristen dienen dem Rechtsfrieden, der es erheischt, dass gewisse Rechtsakte einmal unanfechtbar werden.
Auch der Umstand, dass der Beginn der Fristen des § 17 Absatz 3 KVVG abweichend von § 32 HessVGG nicht an eine Rechtsmittelbelehrung geknüpft ist, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Viele Verfahren kennen Bestimmungen über Rechtsmittelbelehrungen nicht, vgl. z.B. §§ 516, 552, 577 Absatz 2 ZPO, § 22 Absatz 1 FGG. Auch das Hessische Verwaltungsgerichtsgesetz sieht in § 42 Absatz 2 Satz 2 eine Ausschlussfrist für die Erhebung der Anfechtungsklage vor, ohne dass ein formeller Bescheid der Behörde oder eine Rechtsmittelbelehrung vorausging.
Da die mit der Beschwerde angefochtenen Beschlüsse am 30. März 1953 und am 6. Mai 1953 ergangen sind, war die am 3. Dezember 1953 eingelegte Beschwerde auch gemäß § 17 Absatz 3 Satz 3 KVVG verspätet.
3. Im übrigen mag schließlich auch darauf hingewiesen werden, dass der Beschwerde im Hinblick auf das schwebende Genehmigungsverfahren nach der Kirchengemeindeordnung das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt. Zwar steht § 17 Absatz 2 KVVG, der die gerichtliche Beschwerde nur bei Erschöpfung anderer Rechtsbehelfe zulässt, hier nicht unmittelbar entgegen, weil die Einleitung eines neuen Genehmigungsverfahrens nach den §§ 56 und 59 der Kirchengemeindeordnung keinen Rechtsbehelf im Sinne der Vorschrift des KVVG darstellt. Jedoch ergibt sich aus § 17 Absatz 2 KVVG in Verbindung mit der eingangs bereits erwähnten Gesamttendenz des Gesetzes der Rechtsgedanke, dass die Entscheidung der Beschwerde durch das Gericht erst in letzter Linie nachgesucht werden soll, wenn andere gesetzlich vorgesehene Verfahren nicht zur Beilegung der Streitigkeit geführt haben. Wie bereits dargelegt, ist Gegenstand des vorliegenden Streites nicht eine einzelne konkrete Beschwerde, vielmehr geht es der Antragstellerin um die Grundsatzfrage ihrer Stellung im Verhältnis zum Gemeindeverband, um die grundsätzliche sachliche Auseinandersetzung über ihre Zugehörigkeit und ihre allgemeinen Rechtsbeziehungen zu diesem Verband. Diese Grundsatzfragen müssen aber notwendig von den Antragsgegnerinnen gelegentlich der Entscheidung über die erneute Genehmigung und Anerkennung der Satzung geprüft werden. Dabei handelt es sich insbesondere um die Frage, ob der Gemeindeverband rechtlich besteht, sei es, dass er mit dem früheren Stadtsynodalverband identisch ist, oder dass er eine Neugründung darstellt. Im ersten Falle wird weiter zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Satzungsbeschlüsse von 1949 und 1953 von der A. Kirchenverfassung abweichen durften, im anderen Falle, ob eine Neugründung auf § 4 des Einführungsgesetzes zur Kirchenordnung gestützt werden konnte und ob diese Vorschrift nicht übereinstimmende Satzungen aller beteiligten Kirchengemeinden verlangt.
Somit ist die Satzung in dem schwebenden Genehmigungsverfahren gerade auch unter den für die sachliche Entscheidung dieses Rechtsstreites maßgebenden Gesichtspunkten zu prüfen. Die Kirchengemeindeordnung hat durch Anordnung des Nachprüfungsverfahrens der angefochtenen Anerkennung und Genehmigung ihre endgültige Wirkung genommen. Aus diesen Gründen fehlt es im gegenwärtigen Zeitpunkt für die Durchführung der eingelegten Beschwerde an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Beschwerde ist daher auch aus diesem Grunde als unzulässig zurückzuweisen.
Es war daher wie geschehen zu erkennen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 35 KVVG in Verbindung mit § 91 ZPO; im Hinblick auf § 33 Absatz 1 KVVG hat sie nur Bedeutung für die den Parteien erwachsenen Kosten.